Es muß nicht immer Kaviar sein
stand eine unleserliche Unterschrift. Und darunter, getippt: Brigadegeneral.
Thomas Lieven saß an seinem Schreibtisch, summte leise vor sich hin, las den Brief noch einmal, summte weiter und dachte: Na also, jetzt ist es wieder mal soweit. Mit lähmender Monotonie wiederholt sich alles in meinem Leben. Ich drehe ein krummes Ding – und jedermann liebt mich. Es regnet Auszeichnungen, Geld und Küsse. Ich bin der Liebling der respektiven Vaterländer. Ich begehe eine anständige Handlung – und wumm, sitze ich wieder im Dreck.
»Ein führender Beamter des ›Deuxième Bureau‹« hat den Herren im Kriegsministerium Erläuterungen zu meiner Personalakte gegeben? Ein führender Beamter! Oberst Jules Siméon lebt also immer noch. Und er haßt mich also immer noch …
Thomas stand auf. Abwesend begann er, sein Büro aufzuräumen. Als er die Schreibtischschublade aufsperrte, klemmte der Schlüssel ein wenig. Nicht sehr. Es fiel ihm nicht auf. Noch fiel es ihm nicht auf. Benommen sammelte er seine Papiere ein, suchte seinen persönlichen Besitz zusammen.
Er holte die falschen Pässe aus der Lade, deren Schlüssel ein wenig im Schloß geklemmt hatte. Er zählte sie nach. Alle noch da. Nein, nicht mehr alle. Er zählte noch einmal. Verflucht, einer fehlte!
Schweiß trat auf Thomas Lievens Stirn, als er entdeckte, welcher fehlte: der schöne Schweizer Paß auf den Namen Eugen Wälterli. Und noch etwas vermißte Thomas, etwas, das auch in der Schublade gelegen hatte: das Scheckbuch auf das Konto der »Schweizerischen Nationalbank« und die Bankvollmacht.
Ächzend sank Thomas Lieven in seinen Sessel zurück. Fetzen von Gesprächen und Erinnerungen wirbelten in seinem Gehirn: »Eugen Wälterli heißt du auch? Ist viel Geld auf dem Konto? Die Unterschrift, die ich nicht nachmachen kann, gibt’s nicht …« Thomas riß den Telefonhörer hoch. Verlangte ein Blitzgespräch nach Zürich: »Schweizerische Nationalbank«. Wartete endlos. Gespräch nur möglich über Militärleitung. Na und? Jetzt war schon alles egal! Endlich hatte er die Verbindung.
Er verlangte den Beamten, der sein Konto betreute. Ahnte bereits alles, als er die gemütliche Schweizer Stimme hörte: »Ja, Herr Wälterli, mir wüssed B’scheid. Ihre Frau Gemahlin hät alles g’reglet …«
Sie hat sich einen Schweizer Paß besorgt. Nach dem Vorbild
meines
Schweizer Passes. Das Luder, das elende.
»Wann … wann war meine Frau da?«
»Ja, so vor vierzäh Täg … Madame hät g’meint, Sie würdet nach Züri zrugg cho und b’schtimme, was mit dem Konto g’scheh söll …«
»Konto … geschehen … soll …«
»Es stönd na 20 Franke druf.«
O Gott, o Gott, o Gott! »Sonst … sonst hat sie alles abgehoben?«
»G’wüß doch, frili! Madame hät ja Ihre Paß derbi g’ha – Ihres Scheckbuech – ei Bankvollmacht – au für de Tresor … Herr Wälterli! Herr Wälterli! Um Himmels wille, ischt was nicht in Ordnung? Schtimmt öppis nüd? Also,
unsere
Schuld ischt es nicht – Madame hat alle Vollmachten und Dokumente präsentiert – alle mit Ihrer Unterschrift …«
Thomas Lieven legte den Hörer in die Gabel. Lange Zeit saß er reglos. Bis auf zwanzig Franken war alles weg, was er besessen hatte.
Eine Stunde später übergab der Mann, der sich noch Capitaine Clairmont nannte, sein Büro und alle seine Unterlagen dem Dienststellenleiter. Vom Mittag des 7. Dezember an war dieser Capitaine Clairmont verschwunden. Spurlos verschwunden.
9
Am 22. Februar 1946 erschienen beim Portier des Pariser Luxushotels »Crillon« am Place de la Concorde zwei Herren und fragten nach einem gewissen Monsieur Hausér.
Dem strahlenden Lächeln des Portiers nach zu schließen, war dieser Monsieur Hausér ein Lieblingsgast des Hauses.
Der Portier rief ihn an: »Zwei Herren wollen Sie sprechen, Monsieur Hausér. Ein Monsieur Fabre und Monsieur le Baron Kutusow.«
»Ich bitte die Herren, sich heraufzubemühen.«
Ein Page geleitete die Herren in den zweiten Stock empor. Bastian Fabre stand das feuerrote Bürstenhaar ärger denn je vom Schädel ab. Sein Begleiter mit dem Namen eines berühmten russischen Generals war etwa 45 Jahre alt, breitschultrig und recht bürgerlich gekleidet.
Im Salon des Appartements 213 eilte Monseur Hausér den beiden Besuchern in einem erstklassig geschnittenen Anzug entgegen.
Bastian wartete, bis der Page verschwunden war, dann fiel er seinem alten Freund um den Hals. »Junge, was bin ich froh, dich
Weitere Kostenlose Bücher