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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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und er hätte mich passieren lassen …«
    3
    Als der schwarze Chrysler mit dem Sternenbanner über dem Dach aus dem Hof des Hotels »Georges V« glitt, salutierten zwei deutsche Posten. Thomas Lieven, alias William S. Murphy, legte eine Hand an den Homburg und erwiderte ihre Aufmerksamkeit höflich.
    Danach war Thomas weniger höflich. Er hielt Jules Siméon eine gewaltige Standpauke. Dieser nahm sie widerspruchslos hin.
    Nach einer Unterbrechung von fast 46 Stunden erreichten sie wieder ihre geplante Fluchtstrecke. Thomas fragte: »Wer soll eigentlich die schwarze Tasche bekommen?«
    »Major Débras.«
    »Wer ist das?«
    »Der zweitwichtigste Mann im ›Deuxième Bureau‹. Er wird die Papiere nach England oder Afrika bringen.«
    Und dann, dachte Thomas besorgt, und dann? Ach, wäre die Welt schön, wenn es keine Geheimdienste gäbe!
    »Der Major sitzt in Toulouse?«
    »Ich habe keine Ahnung, wo er sich jetzt aufhält«, antwortete der Oberst. »Es ist unbestimmt, wann er eintrifft – und wie. Ich habe Befehl, unseren Briefkasten in Toulouse aufzusuchen.«
    »Was für einen Briefkasten?« fragte Mimi.
    »Briefkasten nennt man einen Menschen, der Nachrichten empfängt oder weitergibt.«
    »Aha.«
    »Der Mann ist absolut zuverlässig. Gérard Perrier heißt er, ein Garagenbesitzer …«
    Auf den mit Flüchtlingen und Truppen verstopften Straßen waren sie viele Tage unterwegs. Der Passierschein, den Thomas von General von Felseneck erhalten hatte, wirkte Wunder. Die deutschen Kontrollen bewiesen exemplarische Höflichkeit! Zuletzt fuhr Thomas sogar mit Wehrmachtsbenzin. Ein Hauptmann in Tours hatte ihm fünf Kanister zur Verfügung gestellt.
    Vor Toulouse hielt Thomas an und nahm an seinem Wagen gewisse Veränderungen vor: Er schraubte die CD -Schilder ab und entfernte den amerikanischen Stander und die Fahne auf dem Dach. Diese Utensilien verwahrte er für eventuellen späteren Gebrauch im Kofferraum, aus dem er zwei französische Kennzeichentafeln holte.
    »Ich bitte euch, daran zu denken, daß ich von jetzt an nicht mehr Murphy, sondern Jean Leblanc heiße«, sagte er zu Mimi und Siméon. Auf diesen Namen war der falsche Paß ausgestellt, den ihm sein Lehrer Jupiter in der Spionenschule bei Nancy gegeben hatte …
    Toulouse war eine Stadt von 250 000 Einwohnern – im Frieden. Nun hausten über eine Million Menschen in ihr. Die Stadt glich einem einzigen hektisch-tragischen Rummelplatz. Riesige Gruppen von Flüchtlingen kampierten im Freien, unter den alten Bäumen der Plätze an der Rue des Changes und in Saint-Sernin. Thomas sah Autos mit Kennzeichen aus ganz Frankreich – und aus halb Europa. Er erblickte einen städtischen Autobus der Pariser Verkehrsbetriebe, der als Fahrtziel noch immer »Arc de Triomphe« angab, und einen Lieferwagen mit der Aufschrift: »Sodawasser- und Kracherlfabrik Alois Schildhammer & Söhne, Wien XIX , Krottenbachstraße 32«.
    Während der Oberst seinen »Briefkasten« aufsuchte, bemühten sich Mimi und Thomas, Zimmer aufzutreiben. Sie versuchten es in Hotels, Pensionen und Fremdenheimen. Sie versuchten es überall. Es gab kein einziges freies Zimmer in Toulouse. In den Hotels lebten Familien in Hallen, Speisesälen, Bars und Waschräumen. Die Zimmer waren zwei- oder dreifach überbelegt.
    Mit schmerzenden Füßen trafen Mimi und Thomas nach Stunden wieder am Standplatz ihres Wagens ein. Der Oberst saß auf dem Trittbrett des Chryslers. Er sah verstört aus. Die schwarze Tasche hielt er unter dem Arm.
    »Was ist passiert?« fragte Thomas. »Haben Sie die Garage nicht gefunden?«
    »Doch«, sagte Siméon müde. »Aber Monsieur Perrier nicht mehr. Der Mann ist tot. Es lebt nur noch eine Halbschwester von ihm, Jeanne Perrier. Sie wohnt in der Rue des Bergères 16.«
    »Fahren wir hin«, sagte Thomas. »Vielleicht hat sich Major Débras bei ihr gemeldet.«
    Die Rue des Bergères lag in der Altstadt, die sich mit ihren engen Kopfsteinstraßen und -gassen und malerischen Häusern seit dem 18. Jahrhundert kaum verändert hatte. Kinder kreischten, Radios spielten, und über die Straßen waren Stricke gespannt, von denen bunte Wäsche flatterte.
    In der Rue des Bergères mit ihren Bistros, winzigen Restaurants und kleinen Bars gab es sehr viele hübsche Mädchen. Sie waren ein wenig zu grell geschminkt und ein wenig zu offenherzig angezogen, und sie trippelten hin und her, als ob sie auf etwas Bestimmtes warten würden.
    Das Haus Nummer 16 erwies sich als kleines, altmodisches Hotel

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