Es soll Liebe sein: Roman (German Edition)
als üblich an meinen vielsilbigen Worten. Er war auch beschäftigt. Wir schafften vielleicht vier Mal Sex in ebenso vielen Wochen. Eines Abends platzte er damit heraus, dass er unsere Karten für Salzburg einem Kollegen verkauft hatte – leichtsinnige Sommer-Spritztouren waren indiskutabel für jemanden, der so hart arbeitete wie er. Er war zärtlich, weil ich es gut aufnahm, und ich nahm es gut auf, weil ich erleichtert war. Mein Kulturstreben bekam Risse. Vor einem Jahr, als Matthew die Karten erwarb, hatte ich mir fast selbst geglaubt, dass ich mich freute. Nun gestand ich mir ein, was ich schon immer gewusst hatte: dass mich so viele Klassik-Langweiler an einem Ort in den nächstgelegenen Abgrund getrieben hätten.
Matthew sagte: »Ich denke nicht nur an meinen Terminkalender. Ich wusste auch, dass du bei Phoebe bleiben wolltest.«
Er hatte Recht, obwohl ich die Erkenntnis kaum zulassen konnte, dass der Sand im Stundenglas ablief. Es war nicht so, als wäre der Verfall sichtbar oder erschreckend. Sie ermüdete leicht und verbrachte inzwischen den größten Teil des Tages auf dem Sofa im Wohnzimmer. Ich besuchte sie jedes Wochenende und an mindestens zwei Abenden in der Woche. Und jedes Mal, wenn ich sie sah, war sie ein wenig geschwächter.
Annabel gesellte sich häufig zu uns, wenn Fritz probte. Fritzens Proben schienen zu allen möglichen Zeiten stattzufinden. Anscheinend ging es mit dem Theaterprojekt aufwärts.
»Er liebt die Proben jetzt regelrecht«, erzählte Annabel uns glücklich. »Er kann nicht genug davon bekommen.«
Phoebe sagte: »Das ist typisch Fritz – grenzenlose Hingabe.«
Ich behielt meinen hartnäckigen Verdacht für mich. Nur ein Ungeheuer hätte das Glück dieser beiden vernarrten Frauen trüben wollen. Ich musste mir endlose Lobreden auf Fritz anhören. Phoebe bat mich, das große Fotoalbum vom obersten Regal im Wohnzimmer zu holen, damit sie Annabel Bilder von Fritz in verschiedenem Alter zeigen konnte.
Tatsächlich wurde dieser Abend recht fröhlich. Die Flut der Erinnerungen belebte Phoebe. Sie zeigte uns sich selbst als Braut, mit Rehaugen und unglaublich jung. Jimmy, darin waren wir uns alle einig, war Fritzens Ebenbild. Annabel errötete, als sie sah, wie Fritz im Stresemann aussehen könnte.
Auf der nächsten Seite, nach einigen reizenden Bildern einer schwangeren Phoebe im Umstandskleid von Laura -Ashley, tauchte zum ersten Mal Fritz auf. Ich muss zugeben, dass er ein absolut anbetungswürdiges Baby war – dick und strahlend und lockig, in den Armen seiner lachenden jungen Mutter (wenn Fritz gewusst hätte, was wir taten, wäre er vor Peinlichkeit eingegangen). Auf der folgenden Seite war er ein lächelndes Kleinkind, das unbeholfen ein sehr ängstlich wirkendes Baby festhielt.
Annabel rief: »Oh, seht euch Ben an! Ist er nicht wunderbar?«
Die Bilder blieben einen Moment unbeachtet, während Phoebe aufzählte, wie oft Fritz seinen kleinen Bruder zu töten oder zu verstümmeln versucht hatte. Ich hatte diese Geschichten schon oft gehört, und ich genoss es, sie wieder zu hören. Die vertrauten Worte waren wie der Klang des Windes im Schornstein oder das Ticken einer ehrwürdigen Uhr. Einst, in der großen Legende der Vergangenheit, erwischte Jimmy Fritz dabei, wie er das Baby aus dem Fenster des Spielzimmers baumeln ließ. In seiner Säuglingszeit war Ben mit Augentropfen vergiftet, mit Gummibärchen erstickt und mit weichen Spielzeugen fast erwürgt worden.
»Und doch«, sagte Phoebe, »hat Fritz ihn zwischendurch immer vergöttert. Ich wollte ihm einmal eine Geschichte erzählen, und er wollte sie erst hören, wenn Ben aufgewacht wäre, damit er sie auch hören könnte.«
»Wie süß«, sagte Annabel.
Phoebe kicherte. »Die nächste halbe Stunde verbrachte er mit dem Versuch, Ben durch Zwicken aufzuwecken – ich hatte schreckliche Mühe, dem Baby genug Schlaf zu verschaffen. Fritz sagte, er sei faul. Seht mal, hier sind sie im Garten. Ich erinnere mich nicht, wann das war, aber Fritz muss in einer seiner großzügigen Stimmungen gewesen sein – er lässt Ben seinen Piratenhut tragen.«
Ich spürte den drohenden Kloß im Hals, wie eine schwerfällige Gewitterwolke. Es war etwas verzweifelt Ergreifendes an diesen Überbleibseln des Lebens vor dem Tod.
In diesem Moment liebte ich die Darling-Jungen sehr, als könnte ihnen das helfen, wenn sie alles verlören. Ich konnte es nicht ertragen, Fritz gegenüber misstrauisch zu sein. Wie konnte ich es wagen, ihn zu
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