Es wird Dich rufen (German Edition)
die Lanze befand, das war den Nationalsozialisten ohnehin bekannt. Sie war Teil der Reichskleinodien, die schon damals in der Wiener Hofburg aufbewahrt wurden. Durch die Annexion Österreichs hatten sie Zugriff auf sie erlangt.
Wieder musste der General an diesen Verräter, Otto Rahn, denken, der es den neuen Führern damals unmöglich gemacht hatte, das alte Ritual mit neuem Leben zu erfüllen und den tatsächlichen Aufbewahrungsort des Grals ausfindig zu machen, so nahe sie ihm auch gekommen waren. Und dies nur wegen eines unverhofften, egoistischen Anflugs eines missverstandenen Selbstzweifels.
Nur sein plötzlicher Freitod verhinderte es, dass die Geschichte ihre damals zugedachte Wendung nahm. Der General wollte sich gar nicht ausmalen, wie weit sie als Volk, das die Welt dominierte, hätten kommen können, wäre es Himmler gelungen, die Zukunft zu schauen und dadurch auch die Pläne ihrer Feinde vorherzusehen.
Sie wären ihnen immer einen Schritt vorausgewesen und niemand hätte etwas dagegen unternehmen können, weil keiner geahnt hätte, woher der Reichsführer SS sein Wissen bezog. Wahrscheinlich hätten sie ebenso verzweifelt wie vergeblich nach einem Spion in den eigenen Reihen gesucht, den es gar nicht gab.
Nun war es eben an ihm, dem General, das Scheitern von damals auszubügeln. Es war seine Aufgabe, zu vollenden, was begonnen und nur vorübergehend unterbrochen worden war.
Dass er sich dabei der Hilfe der »Söhne Luzifers« bedienen musste, passte ihm anfangs überhaupt nicht. Der General gehörte zu den Menschen, die lieber alleine arbeiteten.
Doch die Umstände hatten ihn dazu gezwungen, war er sich doch schnell bewusst geworden, dass Gral und Lanze ohne ihre Hilfe für ihn unerreichbar waren – trotz all seines Wissens.
Von der großen Macht der Lanze hatte er sich selbst überzeugen können. Natürlich hatte er oft gelesen, was man sich über Hitler erzählte; was dieser empfunden hatte, wenn er tagtäglich die Hofburg in Wien aufgesucht und den Speer des Schicksals betrachtet hatte.
Seit er die Lanzenspitze jedoch selbst in seinen Händen gespürt hatte, konnte der General nachempfinden, was in dem Diktator vorgegangen sein musste.
Was würde erst passieren, wenn auch er schon bald den Gral in seinen Händen hielt? Wenn er das Ritual, das in den Papieren aus Himmlers Hinterlassenschaft bis ins kleinste Detail beschrieben war, hinter sich gebracht und die wahre Macht des Grals auf sich vereint hatte?
Spätestens dann würde er sich von den »Söhnen Luzifers« trennen. Sie waren dann wertlos für ihn geworden. Sollten sie davon ausgehen, dass er ihren Befehlen – als eine den Schein wahrende Marionette – folgen würde, täuschten sie sich. Sie würden böse erwachen, wenn sie erkannten, wie sein genialer Plan sie alle getäuscht hatte. Dann jedoch war es für sie zu spät.
Der General nippte genüsslich an einem Glas Rotwein, während er seinen Gast scharf fixierte.
»Alles ist bestens vorbereitet!«, versicherte er Boone.
»Vergessen Sie nicht, dass noch etwas Wichtiges fehlt!«, mahnte ihn dieser.
»Der Gral, ich weiß!«
»Noch haben Sie ihn nicht, General!«
Boones anhaltend pessimistische Einstellung ließ ihn kalt. Die Dokumente, die den eigentlichen Schlüssel bewahrten, würde er in Kürze in seinen Händen halten und dann würde es zweifellos ein Leichtes sein, auch den jahrhundertelang verborgenen heiligsten Gegenstand der alten Weisen in seinen Besitz zu bekommen.
Doch Boones eindringliche Warnung kam nicht von ungefähr. Das musste der General nur wenig später einsehen, als er ausgerechnet durch seine über alles geliebte Tochter erfuhr, dass sein Vorhaben nicht ganz so einfach umzusetzen war, wie er gedacht hatte.
Sie war zu den beiden Männern gestoßen, die in der Lobby des Hotels in Couiza, einem Dorf zu Füßen Rennes-le-Châteaus, ihre weitere Vorgehensweise abgestimmt hatten.
»Was soll das heißen?«, sagte der General, plötzlich kreidebleich geworden und von Boone kritisch beäugt, »Die Papiere sind nicht da?«
»Der Tresor ist leer. Ich weiß nicht, wieso!«, antwortete seine Tochter mit einem fragenden Ausdruck in ihrem Gesicht.
Sie und der Butler waren, wie abgesprochen, in einem unbeobachteten Moment in Mikes Zimmer eingedrungen, um dort nach den Dokumenten zu suchen. Vergeblich – sie waren wie vom Erdboden verschwunden. Unverrichteter Dinge mussten sie sich wieder auf den Rückweg machen.
»Dann waren eure Informationen falsch?«, fragte
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