Es wird Dich rufen (German Edition)
stattdessen und ging ein paar Schritte in seinem Garten auf und ab. Entspannt blickte er dabei auf das glitzernde Wasser des Luganer Sees hinab.
13
Was ...? Wer ...? Oh!«, räusperte sich Jean plötzlich, wie aus einer Totenstarre erwacht. »Entschuldigen Sie bitte! Ich fürchte, ich muss eingeschlafen sein.«
»Na, Sie haben mir ja einen ganz schönen Schreck eingejagt!«, sagte Mike erleichtert. »Ich dachte schon, Sie sind tot!«
»Das tut mir leid, junger Freund«, erwiderte Jean mit einem spitzbübischen Schmunzeln. »Wissen Sie, wenn ich eines von mir sagen kann, dann das, dass ich hier oben noch niemals Probleme mit dem Einschlafen hatte. Die gute Luft tut das ihre dazu.«
»Das habe ich gemerkt.«
»Sie haben Ihr Gespräch inzwischen beendet?«, erkundigte sich Jean pro forma. Die offensichtliche Antwort hätte er sich genauso gut selbst geben können.
»Ja«, nickte Mike. »Wir können weitermachen.«
»Prima!«, zeigte sich Jean zufrieden und erhob sich.
Die Touristengruppe, die ihnen zuvor schon in der Kirche begegnet war, schien ihre Besichtigungstour nun am Château fortsetzen zu wollen. Mike sah sie bereits die Straße herunterkommen.
»Lassen Sie uns noch einmal zu Saunières Kirche gehen«, bat Jean. »Und ich sage ganz bewusst Saunières Kirche, denn Sie müssen wissen: Als der Priester sein neues Amt antrat, war das Pfarrhaus nahezu zerfallen und absolut unbewohnbar. Die Kirche sah nicht besser aus. Sie präsentierte sich ihm in einem desolaten Zustand. Die Fensterscheiben waren großteils zerstört, die Bänke morsch, das Innere mehr als renovierungsbedürftig. Keiner seiner Vorgänger hat es hier oben lange ausgehalten.«
»Wurde denn nie renoviert?«, wunderte sich Mike.
»Dazu fehlte immer das Geld! Man kann also nicht sagen, dass in Rennes-le-Château die besten Voraussetzungen für jemanden gegeben waren, der gerade vom Priesterseminar aus Narbonne gekommen war.«
»Das kann ich gut nachvollziehen«, sagte Mike. Freiwillig wollte bestimmt keiner in ein solches Rattennest ziehen, wie Jean es ihm beschrieben hatte.
»Der Abbé war damals gerade 33 Jahre alt«, erklärte Jean. »Ein stattlicher, durchtrainierter Mann voller Energie und voller Visionen. Sein erstes großes Ziel war es, die Kirche wieder aufzubauen. Von Schätzen oder Geheimverstecken konnte zu dieser Zeit allerdings noch keine Rede sein. Saunière muss sich sogar geweigert haben, das Pfarrgelände nach irgendwelchen Hinweisen zu durchsuchen – also seine eigentliche Mission zu erfüllen. Mir wurde zugetragen, dass er es sogar für gänzlich überflüssig gehalten hat, zumal er davon ausging, dass in dem baufälligen Gebäude längst nichts mehr zu finden war. Man erzählte mir auch, dass er deshalb zunächst vollkommen frustriert war. Er sah sich in der Rolle eines Mannes, der Arbeiten delegieren konnte, dass er selbst Hand anlegen musste, das war er nicht gewohnt. Ja, er war wohl kurz davor, seine ihm zugedachte Aufgabe zu ignorieren und sich offiziell nur um die Kirche und deren Schäfchen zu kümmern – eben ganz so, wie man es von einem Priester erwarten darf.«
Mike war klar, dass dieses Verhalten für die Auftraggeber, die den Abbé Saunière deshalb nach Rennes-le-Château gebracht hatten, weil er dort etwas für sie erledigen sollte, nicht wirklich akzeptabel war.
»Wie haben sie reagiert?«, fragte er.
»Es gab natürlich heftige Diskussionen darüber, ob Saunière wirklich der richtige Mann am richtigen Ort war. Als er sich dann noch anlässlich der Parlamentswahlen im Oktober 1885 vehement gegen die Wahl der Republikaner aussprach und diese zu Feinden der katholischen Kirche erklärte, drohte die Lage zu eskalieren. Damit hat er den Zorn einiger wichtiger Leute auf sich gezogen, sodass man beschloss, ihn noch einmal richtig ins Gebet zu nehmen.«
»Wie meinen Sie das, Jean?«
»Saunière musste zurück ins Priesterseminar nach Narbonne. Dort machte man ihm ein paar Dinge klar. Das schien ganz gut gewirkt zu haben, denn etwa ein Jahr später wurde Saunière wieder als Priester in Rennes-le-Château eingesetzt.«
»Also hat man ihm gewissermaßen eine zweite Chance gegeben«, stellte Mike fest.
»So ist es. Jeder hat eine zweite Chance verdient! Als Saunière wieder zurückkam, war er sich der Tragweite seines Auftrags wesentlich bewusster als zuvor. Man hat ihm auch alle Hilfen zugesagt, die er brauchte. Es war eine Art Entgegenkommen, wenn Sie so wollen.«
»Das bedeutet, dass man Saunière
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