Es wird Dich rufen (German Edition)
Anrufer war.
»Es ist Bruder Thomas«, unterbrach er das Gespräch, um sich ganz dem Anrufer widmen zu können. »Sie entschuldigen mich bitte einen Augenblick, Bruder Jean …«
Dass es keine guten Neuigkeiten waren, die der Großmeister erhielt, erkannte der alte Mann alleine schon an den knappen Kommentaren und der immer frostiger werdenden Mimik. Das Gesicht des Obersten war blass, nachdem er das Gespräch beendet hatte.
»Verzeihung, ich muss ein paar Schritte gehen«, sagte er nachdenklich und erhob sich von der Bank.
Kopfschüttelnd schritt er wortlos über das Kiesbett.
Als er sich der Treppe näherte, die zur Aussichtsplattform des Tour Magdala hinaufführte, schnappte sich Jean seinen Stock und folgte dem Großmeister, der sich inzwischen mit beiden Armen an der Brüstung abstützte und starr in Richtung des kleinen Dörfchens Montazels blickte; in jenes Dorf unten im Tal, in dem Abbé Saunière vor über 150 Jahren geboren worden war.
»Schlechte Nachrichten?«, fragte Jean vorsichtig.
»Sie sind schlimmer als befürchtet«, nickte der Großmeister. »Die Lanze ist aus der Hofburg entwendet worden. Unsere Männer haben es heute Vormittag bemerkt!«
»Die Lanze?« Der Schreck fuhr nun auch Jean in die Glieder. Ihm war klar, was dieser Diebstahl zu bedeuten hatte.
»Sie versuchen es also erneut?«, stellte er fest.
»Ja, es sieht so aus!«
Schon einmal war Jean Zeuge gewesen, wie die »Söhne Luzifers« kurz davorstanden, den Gral in ihren Besitz zu bekommen. Beinahe war es ihnen damals gelungen, Lanze und Gral zu vereinen, so wie es das alte Ritual vorsah. Schreckliches Unheil wäre zweifellos über die Menschheit hereingebrochen, wenn es den Bewahrern des Lichts nicht in letzter Sekunde gelungen wäre, die bösen Mächte zu stoppen.
Jean hatte damals eine gewichtige Rolle gespielt – kurz nachdem er sein Amt als Wächter angetreten hatte. War es Zufall oder Ironie des Schicksals, dass sich diese Situation jetzt zu wiederholen drohte – ausgerechnet jetzt, da seine Zeit zu Ende ging?
»Ich hatte schon befürchtet, dass sie den magischen Moment nutzen wollen«, bekannte der Großmeister. »Allerdings habe ich bis zuletzt gehofft, dass ich mich irre.«
»Wie ist es ihnen gelungen, an den Wachen und Sicherheitsvorkehrungen vorbeizukommen?«, erkundigte sich Jean. »Ich dachte, das sei unmöglich?«
»Sie müssen Helfer gehabt haben. Und wir haben uns offensichtlich zu sicher gefühlt.«
»Dann werden sie also hierherkommen?«
»Wenn sie nicht schon da sind …«, bemerkte der Großmeister. »Dann müssen wir noch mehr auf der Hut sein!«
»Unbedingt, Bruder Jean.«
Nicht alleine der Gedanke, dass die Söhne den Gral und die Lanze wieder vereinigen wollten, bedrückte den Großmeister. Er wusste: 2 000 Jahre waren vorüber. Die Gefahr für den Orden war so groß wie lange nicht mehr. So, wie es prophezeit war.
Die Zeichen für die Schergen Luzifers standen gut. Er konnte ihren Atem schon hinter sich spüren.
»Par ce signe tu le vaincras«.
Durch dieses Zeichen wirst du ihn besiegen.
Automatisch musste der Großmeister an die Statue des Asmodeus denken, die Abbé Saunière als mahnenden Hinweis in seiner Kirche aufstellen ließ, wie der Dämon zu überwinden war.
Seine Hoffnung musste er nun vor allem in den jungen Mike Dornbach setzen. Nur er konnte gegen sie antreten.
»Bruder Jean«, sagte der Großmeister. »Reden Sie mit ihm. Legen Sie Spuren und achten Sie darauf, ob er sich darauf einlässt. Geben Sie ihm alle Hilfe, die er braucht! Aber manipulieren Sie ihn nicht! Er muss es selbst herausfinden!«
»Ich weiß!«
Jean kannte die Voraussetzungen, die zu diesem Amt gehörten. Er selbst war einen langen und harten Weg durchlaufen, bis er endlich dort angekommen war, wo er – bis heute – seinen Platz gefunden hatte. Ein ganzes schweres und dennoch erfülltes Leben lang.
Nur zu gut erinnerte er sich noch daran, wie er damals mit Marie Dénarnaud gesprochen hatte; wie sie ihn auf denselben Weg führte, der nun auch Mike Dornbach bestimmt war. Jean konnte nur beten, dass der junge Journalist klüger war als er und die bereits nach ihm gierenden Versuchungen rechtzeitig erkannte.
»Ich werde mich bemühen, Euer Eminenz!«
21
»LIBRAIRIE« stand in großen weißen Lettern auf einem Schild oberhalb des kleinen Buchladens.
Im Schaufenster lagen dutzende Bücher, die meist das Konterfei des Abbés Saunière oder eine Fotografie des Tour Magdala zierten, sowie eine Auswahl an
Weitere Kostenlose Bücher