Es wird Dich rufen (German Edition)
dem alten Mann denn nicht bewusst, dass Mike nur ein unzulängliches Französisch sprach, das so eben für den Hausgebrauch reichte?
»Ich glaube, das ist nichts für mich«, gestand er Michelle, während er es vor sich auf den Tisch legte. »Das gibt es nicht zufällig auch auf Deutsch?«
»Leider nein«, räumte sie ein. »Aber ich fürchte, das würde Ihnen auch wenig helfen.«
»Weshalb?«, fragte er.
»Weil es in diesem Buch nicht darauf ankommt, was Boudets Text aussagt, sondern vielmehr, was zwischen den Zeilen verborgen ist, Monsieur Dornbach!«
»Das heißt also: Es ist eine Art Code enthalten? Das wird ja immer abenteuerlicher!«, lächelte Mike.
»Boudet hat eine Geheimsprache benutzt, ja.«
»Verstehe …! Deshalb sagte Jean: ›der Sprachführer‹. Aber wozu das alles?«, wunderte sich Mike.
Seiner ersten Einschätzung zufolge war das Buch eine historisch geprägte Zusammenfassung über das Leben der Kelten und ihre Hinterlassenschaft in Form eines Heiligtums in der Region. Es lag folglich auf der Hand, dass es jeder lesen würde, der sich für dieses Thema interessierte. War es also nicht viel zu gefährlich gewesen, eine geheime Nachricht darin zu verstecken? Was wäre geschehen, wenn diese von jemandem entdeckt worden wäre, an den sie gar nicht gerichtet war?
»Boudet ging das Risiko ganz bewusst ein«, erklärte Michelle, nachdem Mike seine Zweifel geäußert hatte. »Sie müssen wissen, dass der Priester ein hochintelligenter Mann war. Er wusste genau, was er tat. Er legte das Buch damals den klügsten Köpfen seiner Zeit vor, weil er ihre Meinung hören wollte. Er wollte wissen, ob sie hinter seinen Code kämen, ob sie bemerkten, was er in dem Buch tatsächlich versteckt hatte.«
»Ist es gelungen?«
»Niemandem!«, sagte Michelle. »Die Wissenschaftler amüsierten sich über Boudets Behauptung im Buch, dass alle alten Sprachen auf die englische Sprache zurückgehen. Das ist natürlich eine sehr gewagte Theorie, aber das war ihm egal. Abbé Boudet nahm jedenfalls zufrieden zur Kenntnis, dass offensichtlich keiner seiner Leser in der Lage war, ihn zu durchschauen.«
Mike wusste nicht, ob er davon beeindruckt sein sollte.
»Vielleicht fand deshalb niemand einen Sinn im Buch, weil es darin keinen gab?« Vielleicht wollte Boudet seine Mitmenschen ja einfach nur zum Narren halten?
Doch auch auf diese Möglichkeit wollte sich Michelle nicht einlassen. »Schauen Sie, Monsieur Dornbach«, sagte sie nachdrücklich. »Wir wissen, dass Abbé Boudet eine zentrale Figur in dem Geheimnis von Rennes-le-Château ist. Man kann sogar zweifellos sagen, dass er es war, der das Geheimnis wiederentdeckt hat. Und es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass er es weitergeben wollte – an die, die in der Lage waren, es zu lesen, zu verstehen und zu begreifen. Mit dem Buch hat er sich sehr viel Mühe gegeben. Jeden einzelnen Satz hat er Seite für Seite selbst positioniert. Das geschah über mehrere Jahre hinweg. Jedes Wort musste genau an dem Platz stehen, der ihm zugedacht war.«
Mike hatte zwar noch Fragen, beschloss aber, sie zunächst nicht zu stellen. Vielleicht hatte sie Recht, vielleicht war aber auch seine Skepsis angebracht. »Es zu lesen, zu verstehen«, wie Michelle es formuliert hatte, würde er das Buch ohnehin nicht können. Ohne fremde Hilfe war das undenkbar!
Auch Michelle schien es bei dem Gesagten belassen zu wollen.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Monsieur Dornbach«, sagte sie.
»Wenn Sie mögen, dann lassen Sie uns morgen ein bisschen durch die Umgebung wandern und ich werde Ihnen zeigen, was der Abbé in seinem Buch beschrieben hat.«
»Einverstanden!«
Diese Einladung nahm Mike nur zu gerne an.
»Sehr schön«, freute sich Michelle. »Um Abbé Boudet verstehen zu können, muss man die Wege gehen, die er gegangen ist. In seinem Buch empfiehlt Boudet nicht ohne Grund, dass man das Cromleck in seiner Ganzheit nur vor Ort erfahren kann.«
»Wären Sie einverstanden, wenn uns eine Bekannte begleitet?«, fragte Mike.
Sein schlechtes Gewissen verlangte von ihm, dass er Feline zu diesem Spaziergang einlud. Schließlich war sie nur seinetwegen nach Rennes-le-Château gereist. Angesichts des Desinteresses, das sie bislang für das Thema gezeigt hatte, ging er allerdings nicht ernsthaft davon aus, dass sie auf seinen Vorschlag eingehen würde.
»Gern. Treffen wir uns einfach hier, Monsieur Dornbach.«
»Das klingt gut! Danke, dass Sie das für mich tun!«
»Ich bitte Sie! Sie
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