Es wird Dich rufen (German Edition)
kümmern würde.
»Sie hat ja gar nicht gefragt, was wir wollen?«, wunderte sich Feline.
»Das ist nicht unüblich«, klärte Mike sie auf.
»Ehrlich? Na ja, kann sein. Da kenne ich mich nicht so aus«, räumte Feline ein, während sie unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte, was Mike nicht verborgen blieb.
»Was ist denn mit dir los?«, erkundigte er sich.
»Ich fühle mich ein bisschen unwohl«, sagte sie. »Am liebsten würde ich mich ein wenig frisch machen, bevor wir essen. Geht das?«
»Klar! Warum nicht.«
Mike gab ihr den Schlüssel zu seinem Zimmer.
»Danke!«, sagte sie, »Dauert bestimmt nur einen kurzen Moment!
Ich bin sofort wieder zurück«, und machte sich auf den Weg.
»Lass dir ruhig Zeit!«, rief er ihr nach und kramte die Postkarten hervor, die Michelle ihm gegeben hatte. Er wollte die Zeit nutzen, sich die Gemälde etwas näher anzusehen, nachdem er sie vorhin nur flüchtig betrachten konnte.
Zunächst nahm er sich das Bild »Die Hirten von Arkadien« vor, auf dem vier Menschen um einen steinernen Sarkophag standen und ihn interessiert studierten. Sie trugen Togen in jeweils unterschiedlichen Farben: blau, golden und rot. Zwei der Menschen deuteten auf eine Inschrift: »Et in arcadia ego«. Im Hintergrund erhob sich eine Gebirgskette, die Berggipfel wurden zum Teil durch Bäume verdeckt. Mike fand, dass es eine gelungene Landschaftsaufnahme war, die der Künstler auf die Leinwand gebannt hatte. Doch mehr fiel ihm spontan nicht dazu ein.
Das zweite Bild, die »Versuchung des Heiligen Antonius«, wirkte wesentlich ergreifender: Am Eingang einer Grotte kniete vor einer Art steinernem Tisch ein alter Mann – er stellte den Heiligen dar.
Hinter der Grotte erhob sich linker Hand ein steiler Hügel, auf dessen Gipfel eine Kirche gebaut worden war. Auf dem Tisch vor Antonius befanden sich eine Rolle Papier, ein Gefäß, in dem man früher Tinte aufbewahrte, ein Totenkopf sowie ein nicht allzu hohes Kreuz und eine Sanduhr.
Vor dem Tisch lehnte ein geöffnetes Buch gegen den nackten Fels. Links dahinter erkannte Mike einen Mann und eine Frau, deren teure Kleidung verriet, dass sie aus Adelsgeschlechtern stammten. Antonius schien für die beiden zu beten.
Die restliche Szenerie mutete verworren und irreal an: Ein untersetzter Reiter saß auf dem Skelett eines Tieres, das einer Mischung aus Pferd und Kuh glich. Gleich neben ihm bildete der Künstler weitere Figuren mit bizarr verzerrten Gesichtern ab, die nur noch entfernt menschliche Züge aufwiesen. Einige der Figuren reduzierten sich sogar ganz auf Köpfe, die in den Fels der Grotte gehauen waren.
Über allen schwebten ein geflügelter rosafarbener Engel und affenartige Dämonen, die auf fliegenden Reptilien saßen und mit einer Lanze bewaffnet eine Art Kampf auszufechten schienen. Ein undefinierbares Wesen, das einem Frosch glich, beobachtete das himmlische Treiben vom Boden aus, während rechts von ihm ein Lautenspieler versuchte, eine ältere Frau mit seinen musischen Weisen zu beeindrucken. Beide sahen auf dem Gemälde bedrückt und traurig aus.
Mike legte die Karte zur Seite.
Weshalb sich Abbé Saunière wohl ausgerechnet für diese beiden Gemälde interessiert hatte? Mike verstand es nicht, auf ihn wirkten beide nichtssagend und ziemlich konfus, insbesondere, was die »Versuchung des Heiligen Antonius« anging. Nichts auf den Bildern schien für das Geheimnis von Rennes-le-Château auch nur annähernd von Bedeutung zu sein.
Vielleicht hatte Mike beim dritten Bild ein wenig mehr Glück. Er nahm es zur Hand.
Zwei Menschen saßen auf einem bräunlichen Stein. Über ihren Köpfen wölbte sich ein Felsvorsprung nach vorne. In den Armen Maria Magdalenas, die sorgenvoll in den Himmel schaute, lag der tote Jesus Christus, nachdem er vom Kreuz genommen wurde. Sein Körper, mit den Wundmalen an Füßen, Händen und im Brustbereich, war in ein kräftiges Grau getaucht, als wollte der Maler damit andeuten, dass auch der letzte Tropfen Blut aus dem leblosen Körper entschwunden war. Hierzu bildete Maria Magdalenas Kleidung, in hell leuchtenden Blau-, Rot- und Goldtönen dargestellt, einen auffälligen Kontrast.
Die linke Hand des toten Christus zeigte auf eine kleine weiße Schale, die zu seinen Füßen stand. Ein dunkler Stein lag darin. Wer auch immer dieses Bild gemalt hatte, er hatte selbst die Nägel nicht vergessen, mit denen Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Allerdings waren es nur drei, der vierte Nagel fehlte auf dem
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