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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Esquivel
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Erscheinen in der Küche Mama Elena dazu, unvermittelt kehrtzumachen und auf demselben Wege zu verschwinden, auf dem sie gekommen war.
    »Mach bloß die Tür zu, mein Kindchen, merkst du denn nicht die Eiseskälte, die hier herrscht? In letzter Zeit kommst du mir völlig durcheinander vor. Nun mal raus mit der Sprache, was ist eigentlich mit dir los, na?«
    Nichts. Rein gar nichts war mit ihr los, außer daß ihre Regel seit einem Monat überfällig war und sie damit rechnen mußte, schwanger zu sein. Folglich würde sie es John gestehen müssen, sobald er zurückkäme, um sie zu heiraten, würde die Hochzeit absagen, die Farm verlassen müssen, wenn sie ihren Sohn ohne Schwierigkeiten bekommen wollte, und zu guter Letzt ein für allemal auf Pedro verzichten, da sie Rosaura nicht weiter weh tun durfte.
    Nur das war mit ihr los! Doch das konnte sie Chencha ja nicht sagen. Denn täte sie es, wäre es bei Chenchas Geschwätzigkeit am nächsten Tag im ganzen Dorf herum. So zog Tita es vor, ihr überhaupt nichts zu erwidern und einfach das Thema zu wechseln, genau wie Chencha es zu tun pflegte, wenn Tita sie bei irgendeinem Fehler ertappte.
    »Um Himmels willen! Der Teig ist drauf und dran überzuquellen! Laß mich nur mal eben den Dreikönigskranz fertigmachen, sonst bricht womöglich die Nacht an, ohne daß wir damit fertig sind.«
    Noch quoll der Teig gar nicht über den Rand der Schüssel, in der er ruhte, doch es gab keinen besseren Vorwand, um Chenchas Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken.
    Wenn der Teig sich zum zweiten Mal verdoppelt hat, wird er auf den Tisch gekippt und zu einem langen Streifen ausgerollt. In der Mitte belegt man ihn dann nach Wunsch entweder mit einigen zerkleinerten kandierten Früchten oder drückt nur irgendwo die Porzellanfigur hinein. Schließlich klappt man die Enden übereinander und rollt den Teigstreifen ein; dann wird er mit der Nahtstelle nach unten auf ein gefettetes und mit Mehl bestäubtes Blech gegeben. Man formt ihn zum Kranz und läßt dabei reichlich Abstand zum Rand des Blechs, damit der Teig sich ein weiteres Mal verdoppeln kann. Inzwischen zündet man den Ofen an, um eine angenehme Wärme in der Küche zu erhalten, bis der Teig ausreichend aufgegangen ist.
    Bevor sie die Porzellanfigur in den Teig drückte, betrachtete Tita sie aufmerksam. Nach der Tradition wird am Abend des Dreikönigstages der Kranz aufgeteilt und wer die Figur findet, dem fällt es zu, am 2. Februar, dem Tag der Lichtmeß, wenn das Jesuskind aus der Krippe genommen wird, ein Fest zu geben. Seit ihrer frühesten Kindheit hatte sich dieser Brauch zu einer Art Wettstreit zwischen ihr und ihren Schwestern entwickelt. Wer das Glück hatte, die Figur zu finden, wurde stets beneidet. Abends konnte sich der jeweilige Gewinner insgeheim etwas wünschen, wobei er den Glücksbringer mit beiden Händen kräftig drücken mußte.
    Eingehend erforschte sie die zarten Formen des Figürchens; dabei fiel ihr ein, wie einfach es als Kind gewesen war, sich etwas zu wünschen. Damals gab es nichts Unmögliches. Sobald man freilich heranwächst, wird einem klar, was man sich alles nicht wünschen darf, da es als Sünde gilt, als unanständig.
    Doch was hieß eigentlich anständig? Auf alles zu verzichten, was man zutiefst ersehnt? Wäre sie doch niemals erwachsen geworden, hätte Pedro nie kennengelernt und müßte nun nicht bangen, ein Kind von ihm zu bekommen. Wenn wenigstens ihre Mutter aufhörte, sie heimzusuchen, ihr auf Schritt und Tritt über den Weg zu laufen und ihr die Unwürdigkeit ihres Tuns offen ins Gesicht zu schreien. Könnte Esperanza bloß heiraten, ohne daß Rosaura sie daran hinderte, und blieben ihr derartige Ängste und schmerzliche Erfahrungen wenigstens erspart. Hoffentlich würde dieses Kind die Kraft aufbringen, die Gertrudis mit ihrer Flucht von zu Hause bewiesen hatte. Ach, käme Gertrudis doch zurück, um Tita den Beistand zu leisten, den sie im Augenblick so bitter nötig hatte! Mit diesen Wünschen steckte sie den Glücksbringer in den Kranz und ließ den Teig auf dem Tisch weiter aufgehen.
    Sobald die Teigmasse sich zum dritten Mal verdoppelt hat, wird sie mit den kandierten Früchten verziert, mit einem geschlagenen Ei bestrichen und zum Schluß mit Zucker bestreut. Schließlich läßt man den Kranz 20 Minuten lang im Ofen backen und dann abkühlen.
    Als der Kuchen fertig war, bat Tita, Pedro möge ihr behilflich sein, ihn auf den Tisch zu tragen. Sie hätte auch jeden anderen fragen

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