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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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etwas passiert, wenn man nicht aufpasst. Es ist, als könnten einem nur Histörchen widerfahren und keine Geschichte. Auch das Geschichtchen ist eine Geschichte, das Histörchen ist nichts. Nicht einmal die zwei Kugeln würden im Zuhörer Respekt wecken, außer wir betrachten den Ekel vor dem halb getrockneten Blut als solchen, jedenfalls könnte der Erzähler so ein wenig Zeit gewinnen, die Flucht nach vorn antreten.
    Nach hinten, Esti flüchtete für gewöhnlich eher nach hinten, er blieb seinen Gewohnheiten treu. Wenn es natürlich in Bari einen Vulkan gäbe, einen freien Vulkan, der zum Ausbruch gewillt ist – was für Mozzarellas er in Bari gegessen hatte!, ganz neue, unbekannte Substanzen! –, dann könnte er Richtung Brindisi flüchten, aber es gibt keinen. Bari und der Vulkan: wie Feuer und Wasser. Andererseits kann man von Bari einen Abstecher nach Brindisi machen – wenn der Reisende den unten zu schildernden Abzweig nicht verpasst.
    Das Reisen und Esti, es ähnelte der Beziehung zwischen Bari und Vulkan. Esti reiste viel, doch er reiste überhaupt nicht gern, es war sozusagen schade drum, er reiste, sah jedoch nichts, fast nichts. Denn auch seine Augen sahen mit Worten, er sah etwas, wenn er es benennen konnte. Und Worte kommen nicht von selbst, entweder Worte oder Reisen. Auch das hatte er satt, diese Wortabhängigkeit. Dass ein Wort und eine Scheibe Brot dasselbe waren. Wenn man nicht sehr hungrig ist, würde ich hinzufügen. Esti war durch und durch Europäer, er sah über sein Europäertum nicht hinaus.
    Seine verwirrende Beziehung zu den Wörtern hatte sich 1967 enthüllt. In jenem Sommer geschahen drei Dinge. Er schrieb seine erste Novelle, doch nicht der Text ist erwähnenswert, vielmehr die Köchin. In dem Text, nennen wir es eher Geschreibsel, kam eine Köchin vor. – Esti würde nie den Rausch vergessen, mit dem er diese Frau formte, modellierte (!). Wenn ich schreibe, dick, dann ist sie dick. Ich schreibe, verschwitzt, und sie schwitzt. Hintern, Brust, und sie hat Hintern, Brust. Ich setzte Wörter hintereinander, sie wird schön und hässlich, sie kriegt einen Busen, einen schönen Busen oder ein Brett. Ich schreibe ein Wort nieder und die Welt verändert sich! So jauchzte der junge Mann von damals.
    Ich sage, was dieses rauschhafte Gute war, das er damals zum ersten Mal erlebte: nun, vielleicht das Nichtssagendste: die Freude am Schaffen. Und dass Schaffen Schöpfen ist. Leichte, göttliche Gefühle in der Hühnerbrust eines Jugendlichen. Doch nicht dieser feine Hochmut war das Bleibende, sondern dass all das durch Worte geschehen war. Dass es sich scheinbar nicht lohnt, zwischen Phantasie und Wirklichkeit einen Unterschied zu machen, dass zwischen der durch Worte geschöpften Wirklichkeit und dem von Gott Geschöpften kein Statusunterschied besteht. No comment, würde ich kommentieren.
    Jener Sommer verstärkte diese Erfahrung, die zum Schluchzen oder doch zumindest zum Schniefen reizende, herzergreifende Einheit von Dichtung und Wahrheit. Es war die Zeit der wilden, auch hier würde ich das Wort Rausch verwenden, berauschenden Dostojewski-Lektüren, bis zum Morgen brannte das Licht, er konnte nicht aufhören und auch nicht weiterlesen, er schlief mit dem Buch ein, wusste schließlich nicht, wo er war, in welchem Raum, in welcher Zeit, auf jeden Fall hätte er sich nicht im mindesten gewundert, wäre ihm anderntags vor der Schule Fürst Myschkin begegnet, grüß dich, Fürst, und der Fürst hätte schmerzlich lächelnd genickt. Dieses andauernde halbe Lächeln wäre dann eher störend als im Roman drin gewesen, doch sonst war alles in Ordnung. Es hätte sogar sein können, dass er Fahrrad fuhr.
    Esti maß diesen Erlebnissen keine große Bedeutung bei, eine Köchin aus dem Nichts, Myschkin vor der Schule, Wörter wie Dinge – er weiß, sieht lediglich Dinge und andere nicht (als wäre er ein Schnellrechner oder farbenblind), und so sieht er gewissermaßen die Welt anders, das ist alles.
    Nicht alles. Eines Nachmittags, als er vom Training (Fußball) nach Hause kam, schickte ihn seine Mutter ins Geschäft; mit dem kleinen Weidenkorb kam er sich vor wie Rotkäppchen aus Rotkäppchen und der Wolf , obwohl er lieber der Wolf gewesen wäre. Doch das störte ihn nicht sonderlich, dieses Sehnsuchtsdefizit, mit der guten Laune und Kraft der schweren Müdigkeit nach dem Training spazierte er pfeifend unter den Platanen entlang, studierte den Zettel seiner Mutter, die Mutter schrieb ihnen immer

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