Etwas ist faul
langsam bis zur Tür und wieder zurück zu gehen.«
Vielleicht wollen die mich als Mannequin, dachte Jane, während sie gehorchte. Aber nein, einem Mannequin würden sie nicht zweitausend Pfund bezahlen. Trotzdem, ich stelle vorläufig lieber noch keine Fragen.
Graf Streptitsch runzelte die Stirn. Er trommelte mit seinen weißen Fingern auf die Tischplatte. Plötzlich erhob er sich, öffnete die Tür zu einem Nebenzimmer und sprach mit jemandem dort drinnen.
Er kehrte zu seinem Platz zurück, und gleich darauf erschien eine kleine ältere Dame aus dem Nebenzimmer, dessen Tür sie hinter sich schloss. Sie war dick und auffallend hässlich, dennoch merkte man ihrem Auftreten an, dass sie eine bedeutende Persönlichkeit war.
»Nun, Anna Michaelowna«, sagte der Graf. »Was halten Sie von ihr?«
Die Dame musterte Jane von oben bis unten, als wäre das Mädchen eine Wachsfigur in einem Panoptikum. Sie machte nicht die geringsten Anstalten, Jane zu begrüßen.
»Sie könnte passen«, meinte sie schließlich. »Eine Ähnlichkeit im buchstäblichen Sinn ist zwar kaum vorhanden. Aber die Figur und die Farben sind sehr gut, besser als bei den anderen. Was meinen Sie, Feodor Alexandrowitsch?«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Anna Michaelowna.«
»Spricht sie Französisch?«
»Ihr Französisch ist ausgezeichnet.«
Jane kam sich mehr und mehr wie eine Wachspuppe vor. Keiner dieser beiden merkwürdigen Leute schien auf den Gedanken zu kommen, dass sie ein menschliches Wesen war.
»Aber wird sie auch schweigen können?«, fragte die Dame, indem sie Jane stirnrunzelnd betrachtete.
»Das ist die Prinzessin Poporensky«, wandte sich Graf Streptitsch auf Französisch an Jane. »Sie möchte wissen, ob Sie schweigen können.«
Jane richtete ihre Antwort an die Prinzessin.
»Ehe man mir nicht erklärt, um welche Tätigkeit es sich handelt, kann ich schwerlich irgendetwas versprechen.«
»Es ist richtig, was sie da sagt, die Kleine«, meinte die Dame. »Ich glaube, sie ist intelligent, Feodor Alexandrowitsch intelligenter als die anderen. Sagen Sie mir, Kleine, haben Sie auch Mut?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Jane verwirrt. »Ich hab’s nicht gerade besonders gern, wenn man mir Schmerzen zufügt, aber ich kann’s ertragen.«
»Oh, das habe ich nicht gemeint. Sie haben keine Angst vor Gefahren, nein?«
»Ach so!«, rief Jane. »Gefahren! Nein, das nicht. Gefahren, die liebe ich.«
»Und Sie sind arm? Würden Sie gern viel Geld verdienen?«
»Und ob«, rief Jane schon beinahe enthusiastisch.
Graf Streptitsch und Prinzessin Poporensky wechselten einen Blick. Dann nickten sie beide gleichzeitig.
»Soll ich erklären, Anna Michaelowna?«, fragte Streptitsch.
Die Prinzessin schüttelte den Kopf.
»Ihre Hoheit möchte das selbst tun.«
»Das ist unnötig – und unklug.«
»Dennoch, so lautet ihr Befehl. Ich soll das Mädchen zu ihr bringen, sobald Sie mit Ihrem Interview fertig sind.«
Streptitsch zuckte die Achseln. Er war sichtlich nicht erbaut darüber. Aber ebenso sichtlich verspürte er keine Neigung, sich dem Befehl zu widersetzen. Er wandte sich zu Jane.
»Die Prinzessin Poporensky wird Sie nun Ihrer Hoheit, der Großherzogin Pauline vorstellen. Haben Sie keine Angst.«
Jane hatte absolut keine Angst. Sie war von dem Gedanken entzückt, einer echten, lebendigen Großherzogin vorgestellt zu werden. Ihr Wesen war nicht von sozialistischen Ideen angekränkelt. Für den Augenblick machte sie sich nicht einmal mehr Sorgen wegen ihres Hutes.
Prinzessin Poporensky watschelte Jane gewichtigen Schritts voraus, wobei sie es trotz widriger Umstände fertigbrachte, ihrem Gang eine gewisse Würde zu verleihen. Sie durchschritten den Nebenraum, eine Art Vorzimmer, und die Prinzessin klopfte an eine Tür in der gegenüberliegenden Wand. Eine Stimme von drinnen antwortete. Die Prinzessin öffnete die Tür und trat über die Schwelle, dicht gefolgt von Jane.
»Madame«, begann sie in feierlichem Ton, »gestatten Sie, dass ich Ihnen Miss Jane Cleveland vorstelle.«
Eine junge Frau, die in einem tiefen Sessel im Hintergrund des Raums gesessen hatte, sprang auf und eilte auf die beiden zu. Ein oder zwei Minuten lang starrte sie Jane wie gebannt an, dann brach sie in fröhliches Lachen aus.
»Aber das ist ja fantastisch, Anna«, rief sie. »Ich hätte nie geglaubt, dass es so gut funktionieren würde. Kommen Sie, wir wollen uns Seite an Seite betrachten.«
Sie ergriff Jane beim Arm und zog sie mit sich durchs Zimmer bis
Weitere Kostenlose Bücher