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Euro Psycho

Euro Psycho

Titel: Euro Psycho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Taylor
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jetzt?
    Plötzlich stürmt einer der BeJoshis mit dem Ball an seinem Bauernfuß aus der Abwehr. Er rennt und rennt und macht keinerlei Anstalten abzugeben, umspielt einen Spieler des Usian -Teams, dribbelt einen des Oz -Teams aus, bis er von einem weiteren angegriffen wird. Allerdings ist es keine heftige Attacke, keine Premier-League-Blutgrätsche.
    Nein. Ihr Mann hält den Fuß dazwischen und erwischt zufällig den Ball.
    Das Leder kullert direkt an der Mittellinie ins Aus, dort wo sich unser verrosteter Unterstand befindet, und bleibt vor dem sitzenden Craggsio liegen. Er hebt ihn auf und will ihn zurückwerfen.
    Mit ausgestreckten Armen stürme ich hinüber und fordere vehement die Kugel. »Craggsy«, brülle ich. »Hier drüben.«
    Als er mir mit einem Lächeln den Ball zuwirft, höre ich, wie man sich auf der Tribüne seinen Namen zuraunt. »Craggsy«, scheinen die Zuschauer zu sagen. Sie haben gehört, wie ich es gerufen habe. »Craggsy«, wiederholen sie begeistert. Merkwürdig. Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit.
    Ich wische den Ball ab, drehe mich um und halte nach einem Mannschaftskameraden Ausschau. Vik Dink bewegt seinen massigen Körper in meine Richtung. Rasch werfe ich ihm den Ball vor die Füße, und er spielt ihn postwendend zurück. Ich flitze den Flügel hinunter, hänge einen schlaksigen Usianer ab. Als ich den Kopf hebe, entdecke ich im Strafraum unsere beiden Stürmer Nino Nazmi und Zatik Vogel. Nachdem ich an der Torauslinie einen weiteren Usianer ausgespielt habe, will ich den Ball in den Sechzehner flanken …
    Doch mein Blick fällt auf Murman Abbasow, unseren Rechtsaußen. Völlig frei steht er am langen Pfosten. Also zirkle ich den Ball über die Spielertraube im Torraum, so dass er sich auf den Kopf des bereitstehenden Abbasow senkt.
    Er kann ihn nicht verfehlen. Es ist der präziseste Pass in der Geschichte des Fußballs, des Sports überhaupt. Er segelt buchstäblich auf ihn herab – er muss nicht mal sein Sprunggelenk belasten –, landet federnd und im idealen Winkel auf seiner Stirn.
    Ich bin zufrieden. Obwohl ich lange nicht mehr gespielt habe, bin ich immer noch in der Lage, so eine Flanke zu schlagen. Wir sind zwar eine Scheißmannschaft in einer Scheißliga, doch so ein Ball hebt das Spiel über das übliche Niveau hinaus, entfacht eine Euphorie, einen zweiten Goldrausch. Schafft es in die Zehn-Uhr-Nachrichten.
    Doch nein. Irgendwie bringt Murman es fertig, ihn weit neben das Tor zu köpfen.
    Aber wie?
    Es wäre leichter gewesen, das Tor zu treffen oder mit den Eiern ein Luftkissenboot zu bauen, als vorbeizuköpfen. Er stand völlig unbedrängt einen Meter vor dem leeren Tor. Wie konnte er es nur verfehlen? Schön, ich habe die eine oder andere Hundertprozentige auch schon mal versemmelt – im Champions-League-Finale zum Beispiel –, aber ich möchte bezweifeln, dass Murman so wie ich damals von den Erinnerungen an einen glanzvollen Cruyff oder den verbissenen Müller gepeinigt wurde. Trotzdem hat er irgendwie den Kasten verfehlt. Aber wie? Hat er nicht im entscheidenden Moment gezuckt, seinen Kopf leicht zur Seite gedreht, um den Ball weit am Tor vorbeizulenken?
    Ich fluche, schnaufe, spüre Wut und Hass in mir aufsteigen.
    »Rukatschut. Rukatschut. Rukatschut«, fängt die Menge an zu skandieren.
    Was?
    »Sie rufen Betrüger «, erklärt Vik Dink, während wir zurücktrotten und auf ihren Abstoß warten.
    »Was? Der Pass war perfekt.«
    »Nein, Kev, nicht du. Murman. Die Zuschauer haben seit Langem den Verdacht, dass er gekauft ist.«
    Ich betrachte den dünnen Murman Abbasow, wie er durch den Sprühregen zum Flügel trabt, ohne dabei ins Publikum zu schauen. Ohne seine Mannschaftskameraden anzuschauen. Am liebsten würde ich zu ihm laufen und aus ihm herausprügeln, ob er das Tor absichtlich verfehlt hat. Aber ihr Keeper schlägt ab, spielt einen kurzen Ball auf seinen Linksverteidiger, der ihn zu einem der Innenverteidiger weiterleitet. Dieser passt ihn – ohne jede erkennbare Logik – zum anderen Innenverteidiger. Und dann geht es wieder von vorne los, das alberne, kleine Scheißspielchen: Unbedrängt vom Gegner schieben sich die Akteure das Leder zu, gefolgt von einem ziellosen Dribbling aus der Abwehr heraus, bis sie den Ball bei einer blutarmen Attacke wieder verlieren.
    Keine Leidenschaft. Kein Pressing.
    Das macht mich echt fertig. Nicht nur der Kulturschock, sondern auch die Sache mit Murman. Ist er ein Betrüger? Spielt ein Betrüger in meiner Mannschaft?

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