Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
ihre Hände, ihr Gesicht verzerrte sich in stummem Schmerz. Dann begann sie zu weinen, die Tränen kamen so schnell, dass sie sie nicht aufhalten konnte. Stattdessen machte sie kehrt und rannte, sich die Augen mit dem Ärmel wischend, nach draußen.
Ich dachte nicht nach. Ich lief einfach auf den Gang, an den zwei Soldaten vorbei, die links und rechts neben der Tür standen. »Beatrice?«, rief ich und rannte den gefliesten Gang hinunter. »Beatrice?« Doch das einzige Geräusch war meine eigene Stimme, die im Gang widerhallte und ihren Namen fragend wiederholte.
ACHTUNDDREISSIG
»Sie sind im zweiten Stock untergebracht«, sagte Lehrerin Agnes, als wir die Treppe hinaufstiegen. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Blick auf Beatrice, deren Gesicht noch immer rot und verquollen war. »Schön, Euch wiederzusehen«, fügte sie hinzu. Sie sah mich an.
Lehrerin Agnes’ Schultern beugten sich bei jeder Stufe, die sie bezwang, nach vorn, sie schlurfte langsam neben mir her, ihre knotigen Finger umklammerten das Geländer. Sie war eine konstante Größe in meinem Leben, selbst nachdem ich die Schule verlassen hatte. Wenn Caleb meinen Nacken streichelte, wenn seine Finger über meinen Bauch tanzten, hörte ich manchmal noch ihre Stimme. Ich hatte sie gehasst, die Wut kam wieder hoch, wenn ich an all das dachte, was sie in den Kursen erzählt hatte, wie sie darüber geredet hatte, dass Männer einen manipulieren könnten, dass Liebe bloß eine Lüge wäre und das wirksamste Mittel, eine Frau verletzbar zu machen.
Doch nun wirkte sie klein neben mir. Ihr Hals war krumm, sie sah aus, als würde sie ständig zu Boden schauen. Ihr Atem ging rasselnd und langsam. War sie wirklich gealtert? Oder war es die Zeit, die vergangen war, die Monate in der Wildnis, die mir erlaubten, sie mit den Augen einer Fremden zu sehen? »Ja, es ist ziemlich lange her«, erwiderte ich.
Ich griff nach Beatrices Hand und nahm sie in meine, als wir in den zweiten Stock hinaufgingen. Ich hatte sie in der Türöffnung zur Küche gefunden, wo sie sich den Pullover vor das Gesicht haltend versteckt und versucht hatte, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Sarah war nicht da. Außer sie zu halten, während sie weinte und die Wange an meine Brust drückte, gab es nichts, was ich tun konnte, nichts, was ich sagen konnte. Nach einigen Minuten war ich zu den Mädchen und Schulleiterin Burns zurückgegangen, hatte ihre Fragen beantwortet und ihnen versichert, dass es meiner Freundin gut ginge, dass ihr nach den vielen Stunden im stickigen Innenraum des Jeeps einfach nur übel sei.
»Die Wächterinnen haben Ihre Sachen hochgetragen.« Lehrerin Agnes trat in einen Raum zu unserer Rechten und zündete die Lampen auf den Nachttischen an. Die vertrauten Geräusche der Schülerinnen erfüllten den Gang. Die Mädchen standen im Bad zusammen, putzten sich die Zähne, die Fliesen an den Wänden ließen ihr Lachen noch lauter klingen. Eine Lehrerin kam aus dem Bad und drehte sich um, als sie mich sah. Wir starrten uns einen Augenblick an, dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, das jedoch so schnell wieder verschwand, dass ich mich fragte, ob ich es mir eingebildet hatte.
Es war Lehrerin Florence.
»Ich bin in einer Minute wieder da«, sagte ich und hielt für Beatrice, die sich auf ein Bett gesetzt hatte, einen Finger hoch. Lehrerin Florence trug noch immer die rote Bluse und die blaue Hose, ihr graues Haar wellte sich von der Feuchtigkeit. »Ich habe mich gefragt, ob ich Sie wohl sehe.« Ich spähte den Gang hinunter zum Treppenhaus, um sicherzugehen, dass Schulleiterin Burns uns weder sehen noch hören konnte. »Geht es Ihnen gut?«
Wir standen auf dem Gang, wo ich so oft gestanden hatte, an jenen Abenden, wenn Ruby und ich vor dem Bad auf ein freies Waschbecken gewartet hatten. Lehrerin Florence deutete auf eine Tür am Ende des Gangs – mein altes Zimmer – und wir schlichen uns hinein. Es war leer. Sie sprach erst, als wir allein waren und die Metalltür sich hinter uns schloss. »Mir geht es gut«, sagte sie. »Ich hoffe, dir auch.« Sie sah mich forschend an.
Ich gab keine Antwort. Ich konnte nicht aufhören, mich in dem Zimmer umzusehen. Sie hatten unsere Betten so umgestellt, dass sie in einer Reihe an der Wand standen. Alle drei waren ungemacht und voll zerfledderter Bücher und zerknitterter Uniformen. Ein Notizblock auf einem Nachttisch war vollgekritzelt. Über dem Schreibtisch war eine Schwarz-Weiß-Zeichnung zweier Mädchen an die Wand geheftet,
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