Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
befestigen konnte. »Jemand muss da runter und sie holen.«
Clara lugte über die Klippe. Nur Helenes Kopf war noch zu sehen. Sie war an die Felswand zurückgerutscht und versuchte, sich so weit wie möglich vom Rand des Felsvorsprungs fernzuhalten. »Warum ausgerechnet du?« Clara streckte die Hand aus und bedeutete mir, ihr das Seil zu geben. »Du solltest da nicht runterklettern.«
Bette und Sarah wagten sich langsam vor, um einen Blick auf Helene zu erhaschen. »Beeilt euch«, drängte Bette. »Sie könnte abstürzen.«
Clara nahm das Seil und zerrte das andere Ende von meiner Taille. »Du kannst nicht gehen«, sagte sie. »Du bist die Einzige, die weiß, wo wir langmüssen.« Sie sah mich einen Moment zu lange an und ich wusste, was sie nicht aussprechen würde – dass ich schwanger war. Dass für mich mehr auf dem Spiel stand als für sie.
Beatrice packte meinen Arm. »Lass Clara das machen«, stimmte sie zu. »Wir halten das Seil fest. Wir können es dort drüben festmachen.« Sie zeigte auf die niedrige Leitplanke auf der anderen Straßenseite. Das Metall war von der Sonneneinstrahlung völlig zerfressen und von einem klumpigen weißen Film überzogen, der aussah wie Seepocken. Das alles schien nicht besonders stabil, aber der untere Teil der Metallpfosten war immer noch fest im Boden verankert, metertief in Beton eingegossen.
Ich untersuchte die Leitplanke und trat ein paarmal gegen die Metallpfosten, um sicherzustellen, dass sie nicht nachgeben würden. Dann schlang ich das Plastikseil darum und befestigte es mit dem Knoten, mit dem ich Monate zuvor Quinns Hausboot am Anlegesteg in Califia festgemacht hatte. Ich lehnte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen, bis sich der Kunststoff in meinen Händen straffte.
Während ich so dastand und auf das Tal hinabsah, stieg in mir dieser unverkennbare Sog auf, der mich jedesmal überkam, wenn ich im Palast zu nah an den Fenstern des Turms stand. Mir wurde schwindelig. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich jeden Moment nach vorne fallen und die Tiefe mich mit Haut und Haar verschlingen. »Du musst mir zeigen, wie man es festmacht«, bat Clara irgendwo hinter mir. Sie gab mir das Seil und ich bemerkte, dass ihre Hände zitterten und ihre Finger blass und blutleer waren.
»Lass mich das machen«, versuchte ich es noch einmal. Aber Clara legte mir nur das Seil in die Hände.
Bette und Sarah standen neben uns auf der Straße. Sarah hielt Bettes Arm. Bette wischte sich übers Gesicht, um ihre Tränen zu trocknen. »Jetzt macht schon«, drängte sie. »Sie hat Schmerzen.«
Mit schnellen Handgriffen befestigte ich das Seil um Claras Taille, gleich unterhalb ihrer Rippen, und versah es mit einem Doppelknoten, damit es sicher halten würde. »Wir könnten versuchen, es erst mal so zu ihr hinunterzulassen«, schlug ich vor, als ich mir sicher war, dass die anderen Mädchen mich nicht hören konnten. »Du musst das nicht tun.«
Claras Gesicht war bleich und schweißnass. Fahrig bewegte sie ihre Hände mal hierhin, mal dorthin, packte erst das Seil, stemmte sie dann in die Hüften und wusste nicht, wohin damit. »Nein, ich mach das«, antwortete sie. »Ich mach das schon.«
Ich wies die Mädchen an, sich in einer Reihe aufzustellen. Direkt hinter Clara stand ich, dann folgte Beatrice und die Mädchen hielten das Seil hinter uns. »Jetzt lehnt euch zurück – stemmt euch mit eurem ganzen Gewicht dagegen«, kommandierte ich. »Was auch passiert, lasst nicht los. Gemeinsam sind wir stark genug, um sie wieder hochzuholen.«
Clara sah mich an. Ihre langsamen, konzentrierten Atemzüge waren das einzige Geräusch, das in der Stille zu hören war. »Wenn du dich zurücklehnst, kannst du die Steilwand hinunterlaufen«, erklärte ich. Ich hatte Quinn zweimal dabei zugesehen, wie sie auf diese Weise versucht hatte, an einen der schmalen, abgelegenen Strände im Osten der Siedlung zu gelangen. »Halte die Hände am Seil.«
»Alles klar«, antwortete sie. »Ich schaff das schon.« Ich zog das Seil straff und sie lief rückwärts auf die Klippe zu, wobei sie über ihre Schulter die Stelle im Auge behielt, an der der Asphalt in den felsigen Untergrund überging. Als sie am Rand der Klippe ankam, lehnte sie sich zurück und für eine Sekunde trafen sich unsere Blicke, als ich ihr Leine gab. Sie blinzelte die Tränen weg.
Ich sah zu, wie sie langsam über die Felskante stieg und schließlich aus unserem Blickfeld verschwand. Jedes Mal wenn sie sich abstieß, konnte man einzelne
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