Eve - Das brennende Leben
Körpermodder vielleicht die Antworten kannten. Als sie ihren Eindruck über die verworrenen Zukunftsvisionen, die anscheinend allen gemeinsam war, schilderte und den Fortschritt von einfachen Tätowierungen zu flüssigen Austauschern ansprach, lächelte der Aufrechte Mann und sagte: »Ja, sie übertreiben es manchmal, nicht wahr? Jeder ist plötzlich ein Kunstwerk oder verschafft sich durch ein Megafon oder etwas anderes Gehör. Ich bin erstaunt, dass sie mich überhaupt zu sich zählen.«
Ralea sah den Köder und nahm ihn auf. »Ich muss zugeben, ich bin verwirrt. Sie sagen, dass Sie diese Kunst besser als jeder andere verstehen, aber von außen betrachtet muss ich sagen, dass Sie das ziemlich gut verbergen.«
Der Aufrechte Mann schien dafür recht dankbar. »Sie können nichts erkennen? Seien Sie ehrlich.«
»Nun, Ihre Haut ist ein wenig blass, aber wenn ich mir die Geheimniskrämerei vor Augen halte, die Ihretwegen betrieben wird, dann bezweifle ich, dass Sie oft draußen auf der Stationsterrasse in der Sonne liegen.« Ralea fügte hinzu: »Außerdem sehe ich etwas in Ihren Augen, aber das könnte auch der übliche Ausdruck sein, den ich hier auf den meisten Gesichtern gesehen habe.«
»Gefesselt?«
»Völlig bescheuert wollte ich sagen, aber ja, das auch.«
Der Aufrechte Mann lachte und erklärte: »Es dreht sich alles darum, anders zu sein. Vor der Gegenwart in eine unbestimmte Zukunft zu entfliehen, von der Sie gesprochen haben. Ich sehe darin keinen Sinn. Alles dreht sich immer im Kreis, jeder landet immer wieder am Anfang. Die Tätowierer der Naturalisten haben den richtigen Ansatz, aber ihre Malereien zeigen nur das, was sie selbst gerne wären.«
»Also ist es so was wie ›Der Weg ist das Ziel‹?«, fragte Ralea. Sie mochte diese Denkweise. Sie schien genau das, was sie wollte, anzusprechen und verlieh der Modifikation eine Bedeutung, die rein persönlicher Natur und nicht symbolisch war. Dennoch gab es da eine unbestimmte Dunkelheit, die sie nervös machte.
»Genau so ist es. Man mag Reptilien und man häutet sich. Wissen Sie, sie tun das manchmal, sich mausern – und werden dann etwas völlig anderes, obwohl sie immer sie selbst sind.«
»Ich dachte, das wäre beim Einspinnen in einen Kokon der Fall«, sagte Ralea.
Der Aufrechte Mann wedelte mit einer Hand. »Das auch. Der Punkt ist, wenn man sich in etwas Größeres verwandeln will, ist das ein fortlaufender Prozess. Meine Identität liegt in meiner Bewegung und die Veränderungen spielen nur dabei eine Rolle. Alles, was ich jetzt tue, jede Interaktion mit der Außenwelt, wird ein Teil von mir und somit Teil des Wesens, das ich gerade kreiere. Aber ich muss natürlich auch gewisse Dinge hinter mir lassen.«
»Ich habe einmal irgendwo gelesen, dass wir uns alle sieben Jahre vollkommen erneuern«, sagte Ralea. Seine letzte Bemerkung hatte sie irritiert. »Der Staub, der meinen Körper umgibt, besteht zum größten Teil aus toten Hautzellen, die von meinem früheren Ich, das ich jetzt nicht länger bin, zurückgelassen wurden.«
»Es hat etwas mit Übergängen zu tun«, sagte der Aufrechte Mann. »Man muss das, was tot oder nutzlos ist, zurücklassen.«
Ralea dachte darüber nach. Erneut lag etwas in dieser Bemerkung, das sich so anfühlte wie das, nach dem sie suchte. Erst als sie den Aufrechten Mann intensiv betrachtete, dämmerte ihr eine entsetzliche Erkenntnis.
»Ich sehe, Sie überschreiten die Grenze«, sagte der Aufrechte Mann und grinste noch breiter. Seine Zähne waren von intensivem Weiß.
Ralea begann allmählich das ganze Ausmaß des Wahnsinns zu begreifen, wenn man sich selbst neu erschuf. Sie schluckte trocken und sagte: »Was haben sie in Ihnen hinterlassen?«
»Sie sagten mir, sie müssten das Gehirn und die Wirbelsäule behalten. Das war klar. Ein wenig Blut und eine Handvoll Sehnen … aber alles andere ist weg. Falls es Sie tröstet, ich musste zuerst ungeheuer viele Veränderungen durchlaufen. Dabei wurde ich nicht gerade zu einem Austauscher, aber ich war nahe dran. Dann dachte ich, warum mache ich das? Wichtiger noch – wo soll das hinführen? Ich wollte nicht dazu verdammt sein, mich ständig noch weiter verbessern zu müssen und nichts mehr als ein Sklave meiner Modifikationen zu sein.«
»Also wurden Sie zu Ihnen«, sagte Ralea.
Der Aufrechte Mann hob ein Kissen auf. »Ich gewöhne mich immer noch an all das, was in mir ist. Alles funktioniert beinahe zu gut. Ich will das hier nicht versehentlich machen.«
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