Everlasting
jemand im Hintergrund falsch bewegt, oder etwas stimmte mit der Technik nicht, und jemand kam und hat das Licht gemessen und den Abstand von meiner Nase zur Kamera. Mama hat gesagt, ich hätte meine Sache sehr gut gemacht, aber ich habe ihr gesagt, meine Nase hätte die ganze Arbeit gehabt. Ehrlich, nach einer Weile wurde es ganz schön öde, und ichhabe auf der Stelle beschlossen, auf keinen Fall Filmschauspielerin zu werden, wenn ich groß bin. Viel zu langweilig! Ich werde Schriftstellerin. Und ich schwöre, ich werde nie im Leben den Satz schreiben: «Es ist schon spät, komm, wir gehen!» Kein einziges Mal!
Finn ertappte sich dabei, wie er lachte. Wie entzückend sie war. Wie –
«Erwischt!», sagte Renko.
Finn schaute auf. «Musst du dich immer so an mich ranschleichen! Erwischt? Bei was?»
«Beim Lachen.» Renko pflanzte sich in einen Sessel. «Du ungezogener Junge. Lachst bei der Arbeit.»
«Es war ein Kichern», lächelte Finn und schloss das Tagebuch.
«Kichern oder lachen», sagte Renko. «Wo ist da der Unterschied? Ist jedenfalls beides besser als deine mürrischen Launen.» Er deutete mit dem Kinn auf das Tagebuch. «Das Mädchen schon wieder, nicht?»
«Zu deiner Information: Die Geschäftsberichte der Deutschen Bank bringen diesen Übersetzer nicht zum Kichern.»
«Alles klar.» Renko betrachtete das Tagebuch. «Aber mal im Ernst. Was kann denn an einer Dreizehnjährigen so faszinierend sein? Das ist diesem Mann schleierhaft.»
«Am Ende von diesem Tagebuch ist sie schon fünfzehn», entgegnete Finn. «Außerdem ist es weniger das, was sie tut und beschreibt. Es ist eher das
Wie
. Sie ist so leidenschaftlich bei allem. So präsent.»
«Verstehe.»
«Aber es ist mehr als nur das. Jeder Tintenfleck, jedes durchgestrichene Wort, jeder Rechtschreibfehler, ihre vielen Klammern, die Art, wie sie das Und-Zeichen macht,die vielen Randbemerkungen, das alles nimmt diesen Leser direkt mit in ihren Kopf und in ihr Gefühlsleben.»
«Hilfe! Klingt so … intim», sagte Renko und machte ein Gesicht, als lutschte er ein saures Bonbon.
Finn hatte noch nie viel darüber nachgedacht, aber Renko hatte nicht unrecht. «Stimmt. Ist es. Es ist intim. Dieser Leser fühlt sich ihr seltsam nah. Es ist eine emotionale Nähe, die dieser Mann zuvor nur mit seiner Familie erlebt hat. Eigenartig.»
Sie saßen einen Moment ruhig da, lauschten auf das leise Summen des Handsterilisators. Finn spürte, dass sein Freund eigentlich gekommen war, um ihm etwas Wichtiges zu sagen. «Und? Was hast du auf dem Herzen?»
«Gao hat gedacht, sie wäre schwanger.»
«Gedacht?»
«War negativ. Leider. Aber sie sagen, es könnte irgendwann hinhauen, dass wir gute Chancen hätten, eins zu vier. Und wir denken, wenn es doch nichts wird, probieren wir es mit
in vitro
. Und wenn das nichts wird – dann sehen wir weiter. Aber so oder so machen wir es offiziell.»
«Ihr wollt heiraten?», fragte Finn betroffen. Er freute sich aufrichtig für seinen Freund und tat sich gleichzeitig selber leid. Sein Freund würde ihn verlassen.
«Es ist das Vernünftigste», sagte Renko. «Sie hat gute Gene, einen guten Kopf und irgendwann auch einen guten Job. Was kann ein Bibliothekar mit schlechten Genen, einem langweiligen Job und einem brillanten Kopf da mehr wollen?»
Finn grinste schief. Er würde Renko vermissen. «Soso. Gao ist also deine One and Only.»
«Was meinst du damit?», fragte Renko etwas misstrauisch. «Es kämen bestimmt auch noch andere in Frage.Aber, klar, sie ist bestens geeignet. – Keine Bange, Finnkins. Dieser Bibliothekar bleibt im Eisberg. Wir werden in Struckum in unserer «Near ’n’ Dear»-Domäne mit der ganzen Hoogeveen-Mischpoche leben. Von Flensburg geht viermal am Tag ein Citygleiter nach Greifswald.»
Renkos Familie, die Hoogeveens, teilten eine Wohnanlage in Nordseenähe mit einigen anderen Großfamilien, den Kuddendieks, den Hansens, den Jensens und den Klotz’. Finn hatte Renko einmal dort besucht und war von allen vier Generationen der Familie Hoogeveen herzlich aufgenommen worden, doch die meisten anderen Bewohner fanden es ziemlich merkwürdig, dass Finn in einem Privathaus in einer Kernfamilie aufgewachsen war. Sie behandelten ihn mit einer spürbaren Zurückhaltung.
Einen Augenblick lang waren sie beide in die eigenen Gedanken vertieft, dann sagte Renko etwas unvermittelt, «Fragst du dich manchmal, wie sie aussieht?»
«Sie?»
«Ach, Finnkins.» Renko zeigte auf das Tagebuch.
«Eliana? Ob
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