Everlasting
frei ließ und ihre schlanke Taille betonte. Dazu trug sie eine Jeans im Used-Look, bei der der Stoff an beiden Knien raffiniert eingerissen war. Ihre Sneakers waren grün-blau.
Für Finn besorgte sie ein ähnliches Outfit: Sein Hoodie war grau, sein Hemd dunkelblau, mit so kurzen Ärmeln, dass sie seinen Slapback-Bizeps zur Geltung brachten. Die dekorativen Risse in seiner Jeans beschränkten sich auf ein Knie und den unteren Saum. An den Füßen trug er blaue Ledersneaker. Als er aus der Umkleidekabine trat, musterte Rouge ihn prüfend. Ihre Augen glitten zu Finns Bizeps, als er die Jacke auszog. «Du solltest beantragen, dass du das Outfit nach der Mission behalten kannst», sagte sie.
Finn und Rouge würden je einen kleinen Unisex-Daypack tragen, der eine Geldbörse, Ausweispapiere, Zahlungsmittel, eine Flasche Wasser, Zeitlag-Tabletten und die Tru-Copy eines Berliner Stadtplans enthielt. Letzteren hatte Finn in der Kartenabteilung im 5. Untergeschoss der Katakomben im Original entdeckt. Er war einfacher zu bedienen als die Akkordeon-Straßenkarte, die sie beim zweiten Ausflug am Kiosk gekauft hatten.
Finn fand seine Kostümierung passabel. Zumindest entsprach sie dem, was er von einem Graduiertenseminar über das Studentenleben um die Jahrtausendwende in Erinnerung hatte. Auch die Forester trugen solche Klamotten. Jedenfalls war es wahrscheinlich genau das, was Eliana Lorenz und ihre Familie bei einem jungen Mann erwarteten.
Finn war sich inzwischen vollkommen sicher, dass das OZI ihn gezielt in Kontakt mit Eliana und ihrer Familie bringen wollte. Er hatte nur nicht durchschaut, warum. Doch wozu sollte er sich über das Warum Gedanken machen, solange seine Begegnungen ungefährlich, angenehm und sogar lehrreich waren? So wie er das inzwischen sah, wurde er dafür bezahlt, an einem Experiment von sozialer, historischer und vielleicht sogar wissenschaftlicher Bedeutung (das nahm er zumindest an) teilzunehmen, und solangeer nicht in unmittelbare Lebensgefahr geriet, würde er die Chance nutzen.
Nachdem Finn sich mit seinem neuen Mobiltelefon (ein Gratisgeschenk vom Museum), dem Inhalt seines Rucksacks und seinen Ausweispapieren vertraut gemacht hatte, beschwor Professor Grossmann ihn in der Vorbesprechung zum x-ten Mal, er solle seinem Herzen folgen. «Denken Sie daran», sagte der Professor, «tun Sie, was Ihnen gefällt, solange es weder Ihnen noch Mademoiselle Moreau oder sonst wem schadet.»
Rouge ihrerseits wurde angewiesen, Finn etwas Freiraum zu lassen. Dazu war sie nur allzu gern bereit, da sie selbst einiges vorhatte, unter anderem wollte sie Recherchearbeiten für ihre Dissertation durchführen. Zu Letzteren gehörten sowohl ein Besuch im Erotik-Museum als auch im Institut für Elementarteilchenphysik an der Humboldt-Universität.
«Erotik-Museum?», fragte Finn. «Recherche?»
«Bitte, Finn», sagte sie. «Das ist zu kompliziert zu erklären.»
Finn lies das Thema fallen – er hatte ohnehin genug, worüber er nachdenken musste. Wie, zum Beispiel, würde er Eliana Lorenz sein plötzliches Auftauchen erklären? Er würde improvisieren müssen. Er würde um 14.30 Uhr in der Staatsbibliothek auftauchen, Überraschung über die zufällige Begegnung mit ihr heucheln und dann sehen, was sich ergab.
Montag, der 1. Oktober 2007, war ein goldener Herbsttag: warm, aber mit einem Anflug von Kühle in der Luft, die den nahen Winter ahnen ließ. Der klare Himmel, die zarte Brise, die Sonne – all das erfüllte Finn mit einem Gefühlder großen Erwartung. Der Wechsel der Jahreszeiten war schon immer etwas Besonderes für ihn.
Finn und Rouge landeten um 11.45 Uhr in Berlin-Charlottenburg in der City Toilette am Savignyplatz und gingen dann zehn Minuten zu Fuß in nördlicher Richtung zur preiswerten Mensa der Technischen Universität (Mr. Ciucurescu, OZIs Sparkommissar, saß ihnen im Nacken). Sie wählten als Vorspeise Mozzarella mit Grünkern und danach ein Gemüseschnitzel mit Pilzsoße. Leider schmeckte es so, wie es klang.
Und dann war Finn auf sich allein gestellt.
Als er sich der Staatsbibliothek auf der Potsdamer Straße näherte, fast zwei Stunden und etliche Kilometer Stadtbesichtigung zu Fuß später, fand er, dass er genug von Berlin gesehen hatte. Er hatte so viel Straßenlärm gehört, so viel Zigarettenrauch gerochen und so viele fossile Brennstoffe eingeatmet, dass ihm das für den Rest seines Lebens reichen würde, schönen Dank auch. Er konnte es kaum erwarten, die
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