Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
an, dass ich nur nicke, außer Stande, ihr zu widerstehen.
Sie hebt einen ihrer knorrigen Finger und bedeutet mir, ihr zu folgen – den ersten Schritt einer Bestimmung entgegen zu tun, die ich mir noch nicht vorstellen kann.
Ich wende mich noch einmal meinen Freunden zu, um ihnen zum Abschied zuzuwinken, doch nur Miles, Ava und die Zwillinge winken zurück, während Jude direkt hinter mir steht.
Und gerade als ich noch einmal erklären will, warum ich allein losziehen muss, hält Lotos inne, wirft einen Blick nach hinten und mustert Jude, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Ihr Blick wandert über ihn, als würde sie ihn irgendwie erkennen. Zu meinem Erstaunen winkt sie ihm und fordert ihn auf, sich zu uns zu gesellen.
»Das ist auch deine Bestimmung. Die Antworten, die du suchst, sind jetzt für dich in greifbarer Nähe«, erklärt sie, und es klingt weise und wahr.
Ich blicke zwischen ihr und Jude hin und her und frage mich, was zum Teufel das wohl heißen soll, doch sie hat sich bereits abgewandt, und Jude scheint genauso verwirrt zu sein wie ich.
Sie führt uns durch den Matsch, durch einen Wald aus verbrannten Bäumen mit grotesken, kahlen Ästen, an denen trotz des permanenten Regens keine Spur von Laub zu erkennen ist. Ihre Füße bewegen sich mit erstaunlicher Sicherheit, während ich Mühe habe mitzuhalten. Den Blick auf ihren Hinterkopf geheftet, da ich sie nicht verlieren will, horche ich auf Judes Schritte hinter mir.
Und obwohl ich dankbar für die Begleitung bin, drängt sich mir unwillkürlich der Gedanke auf, dass eigentlich Damen an seiner Stelle sein müsste.
Damen sollte diese Reise mit mir machen. Damen, der ja mitkommen wollte, der eigentlich an meiner Seite sein
und mich beschützen wollte – obwohl er von vornherein dagegen war, dass ich überhaupt hierherkomme.
Dass Jude nun mitgeht, fühlt sich in jeder Hinsicht falsch an.
Wir marschieren weiter, folgen Lotos eine Strecke von gewiss mehreren Kilometern, und ich will schon fragen, wie weit es noch ist, als wir ankommen.
Das weiß ich in dem Moment, als ich es sehe.
Die Landschaft ist im Grunde unverändert, das Erdreich nach wie vor matschig, es regnet auch unvermindert, und die Gegend ist so kahl und trist wie immer, aber trotzdem ist es eindeutig klar. Die Luft ist anders. Kühler. Die Temperatur ist so tief gesunken, dass ich wünschte, ich hätte etwas Wärmeres an als nur eine alte Jeans und ein langärmeliges T-Shirt. Noch auffälliger ist allerdings, wie die Landschaft vor uns glitzert und schimmert, nicht wie der schimmernde Schleier, der das Portal zum Sommerland markiert, sondern eher wie ein Wandel der Atmosphäre. Alles ist auf einmal neblig, unscharf und lässt Formen nur noch schemenhaft erkennen, quasi als Hinweis darauf, was dahinter liegen könnte.
Lotos macht Halt, hebt eine Hand an die Stirn und mustert die Szenerie, während ich direkt neben ihr stehe, mit Jude an meiner Seite, und mich frage, ob er wohl darauf bestehen wird, weiter mitzukommen, jetzt, da wir hier sind.
Ich wende mich an Lotos, in der Hoffnung auf irgendeine Art von Anweisung, einen Rat, eine Warnung oder eine kluge Bemerkung – bereit, mich mit nahezu allem abzufinden, was sie mir gönnt, doch sie zeigt nur nach vorn, bedeutet mir weiterzugehen und den großen Sprung zwischen dem Ort, wo ich stehe, und dem großen Unbekannten dahinter zu machen.
»Aber was soll ich tun, wenn ich dort bin?«, frage ich, praktisch zur Bittstellerin reduziert.
Anstatt mir zu antworten wendet sie sich an Jude und sagt: »Geh weiter. Lerne. Du wirst wissen, wann es an der Zeit ist zurückzukehren.«
»Aber … ich gehe doch mit Ever, oder nicht ?« Er sieht zwischen uns hin und her, sein Gesicht eine Maske der Verwirrung, die meiner eigenen entspricht.
Lotos gestikuliert ungeduldig und zeigt nach vorn, und als ich der Richtung ihres gekrümmten Fingers folge, muss ich erst ein paarmal blinzeln, um alles aufzunehmen und zu sehen, was sie sieht.
Doch trotz all meiner Bemühungen kann ich nichts weiter ausmachen als ein verschwommenes Hologramm. Wie eine unscharfe Fata Morgana, die ein Dorf und dessen Bewohner repräsentieren könnte, aber ebenso gut etwas ganz anderes.
»Deine Reise beginnt hier. Wo sie endet, musst du selbst herausfinden.«
Jude ergreift meine Hand, entschlossen, mich zu unterstützen, mich zu begleiten, aber ich bin noch nicht bereit.
So gern ich Jude auch habe, mein Herz gehört Damen. Er ist es, den ich auf dieser – und auf jeder
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