Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
Durst bekomme. Und so krieche ich zum
Fluss zurück, in der Hoffnung auf Wasser zum Trinken, doch der Fluss ist weg. An seiner Stelle ist nun eine Landschaft aus Sand, zahlreiche Kakteen und zwei glühende Sonnen am Himmel, die zwei Bündel harter, unbarmherziger, brennend heißer Strahlen herabsenden. Meine Haut wird rot und wirft Blasen, meine Lippen werden rissig und bluten, und da ich nirgends einen Unterschlupf sehe und durch meinen Durst zu erschöpft bin, um nach einem zu suchen, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zu einer Kugel zusammenzurollen. Ich beuge den Kopf, bis mein Kinn an den Knien anstößt, lasse mein Haar in der Hoffnung, dass es mich abschirmt, vor mir herabhängen, nur um schließlich zugunsten meines Gesichts meinen Nacken ungeschützt der Sonne auszusetzen.
Denk nach. Ich kneife fest die Augen zusammen, versuche, meine Mitte zu finden und mich zu konzentrieren,
Denk nach, schelte ich mich selbst. Erinnere dich.
Doch die Hitze ist so enorm, dass ich mich unmöglich auf irgendetwas anderes als meine sich schälende Haut und meinen quälenden, brennenden Durst konzentrieren kann.
Ich zerre die Ärmel herunter, über Handgelenke und Hände bis zu den Fingerspitzen. Mühsam verkneife ich mir einen Aufschrei, als der Baumwollstoff gegen die Blasen reibt, sie aufreißt und die Flüssigkeit aus den Wunden auf meinem Fleisch verdampft. Ich kämpfe gegen den Schmerz an, schiebe die Hände tief in die Hosentaschen und versuche, mich kleiner zu machen, weniger Angriffsfläche zu bieten, mich vor der Hitze zu verstecken, aber es ist zwecklos. Gegenüber zwei sich duellierenden Sonnen, eine vor und eine hinter mir, gibt es kein Entkommen vor ihrem Zorn.
Meine Finger wühlen sich tiefer und tiefer in die Taschen.
Schließlich treffen sie auf etwas Glattes, Hartes mit rauen Kanten – irgendeine Art Stein.
Ein Stein, an den ich mich nicht erinnern kann.
Ich taste mich an seinen Seiten entlang, an der kühlen glatten Oberfläche, da ich weiß, dass ich nachdenken, mich konzentrieren, mich erinnern muss … an irgendetwas … aber ich habe keine Ahnung, was dieses Etwas sein könnte.
Ich drehe den Stein um. Erforsche jede Seite, wieder und wieder, bis ein Lichtsplitter durch meine verkrusteten, geschlossenen Lider dringt. Ein Aufblitzen von Farbe, eine Myriade verschiedener Schattierungen kriecht in mein Blickfeld – begleitet von einem Strang von Worten, die mich anstoßen, aufrütteln sollen, indem sie unablässig durch mich hindurchwirbeln und meine Aufmerksamkeit fordern – auch wenn ich keine Ahnung habe, was sie bedeuten.
Worte, die sich ständig wiederholen und sich winden und immer wieder aufs Neue ertönen, wobei jede Silbe mit äußerster Dringlichkeit betont wird, bis es ungefähr so klingt:
Dunkel – wie seine Augen.
Rot – wie das Blut, das aus mir geflossen ist.
Blau – wie der Fluss, wie der Stein in meiner Tasche.
Ein Stein, den ich sehen muss.
Ich schiebe ihn an meiner Hüfte vorbei und über meinen Bauch an eine Stelle, wo ich ihn sehen kann. Erstaunt registriere ich, dass er trotz der infernalischen Hitze kühl geblieben ist, und riskiere es, ein Auge einen Spalt weit zu öffnen, obwohl meine Wimpern schon angesengt sind, meine Haut sich schält und meine Netzhaut schmerzt. Ich betrachte ihn, drehe den strahlend blaugrünen Kristall hin und her und
bin ganz beeindruckt, bis ich etwas noch Wundersameres entdecke – die Energie, die mich wie ein Heiligenschein aus dem strahlendsten goldgesprenkelten Violett umgibt.
Die Farbe erinnert mich an die, die ich zuvor gespürt habe. Die Farbe, die damals im Sommerland regelrecht durch meinen Körper gesaust ist, nachdem ich versehentlich Fleurs Erlebnis zu meinem gemacht hatte. Dieses farbige Gefühl hat mich davon überzeugt, dass mehr hinter Damens und meiner Geschichte steckt. Dass wir beide ein Leben gelebt haben, das wir erst noch kennen lernen müssen.
Und auf einmal weiß ich, was es heißt – weiß, was es ist.
Die strahlende schimmernde Schattierung, die ich sehe, ist die Farbe meiner Seele.
Meiner unsterblichen Seele.
So würde meine Aura aussehen, wenn ich eine hätte.
Die Wahrheit überfällt mich so brutal und schnell, dass in meinen Gedanken kein Platz für Zweifel bleibt.
Ich kann nicht hier sterben.
Kann nirgends sterben.
Auch wenn mein Körper diese Hitze vielleicht nicht überstehen mag, wird meine Seele auf jeden Fall weiterleben.
Wie die Schlange, die an dem Lederband um meinen Hals hängt –
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