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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Kalksteinwand geschrieben, danach war der Text eingeritzt und vergoldet worden. »Gustaf Adolf« stand dort in Gold.
    Erik berührte den Namenszug und fuhr mit dem Zeigefinger die Buchstaben des Wortes »Adolf« ab. In der Wohnung des Rektors brannte Licht.
    »Das versprech ich dir, Pierre«, sagte er laut. »Dafür nehm ich Rache, das werden sie büßen. Aber wie wenn du hier wärst, werde ich mir alles genau überlegen, ehe ich etwas so Dummes tue, wie ich es gerade gern getan hätte. Ich schwör’s, Pierre, das gibt Rache. Ich schwör’s.«
    Als er im Bett lag, kamen wieder die Tränen.
    Am nächsten Nachmittag war Kranich totenbleich und erschien mit zusammengekniffenem Mund zum Biologieunterricht.
    »Was seid ihr eigentlich für miese Würmer«, sagte er. »Begreift ihr nicht, was ihr da angerichtet habt?«
    Die Klasse starrte ihre Tischplatten an.
    »Du, Erik, zum Beispiel! Ihr wart doch eng befreundet, hättest du ihn nicht verteidigen können?«
    Erik errötete und schaute nicht von dem Kreis auf, den er gerade mit dem Bleistift zeichnete.
    »Antworte wenigstens. Weshalb hast du ihn nicht verteidigt? Bist du genauso feige wie die anderen?«
    »Man wird von der Schule verwiesen, wenn man ein Ratsmitglied schlägt«, murmelte Erik.
    Kranich machte eine Viertelstunde lang weiter. Pierre sei einer der begabtesten Schüler gewesen, die Stjärnsberg jemals gehabt habe. Und hier saß ein ganzes Schock von Klassenkameraden, die keinen Finger gerührt hatten. Warum waren sie zum Beispiel nicht zum Fach gegangen? (Kranich hatte also keine Ahnung von den Zusammenhängen.) Warum hatten sie sich nicht zu mehreren zusammentun und Pierre beschützen können? Sie waren doch wenigstens vom Aussehen her Menschen, wie sie Kranich da gegenübersaßen. In der Tierwelt gehen die Exemplare unter, die physisch schwächer sind als ihre Umgebung, aber seit Jahrmillionen hat der Mensch sein Leben anders eingerichtet. Was Menschen und Tiere trennt, ist nicht nur die Intelligenz, sondern auch die Moral, die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden. Aber sie hier hatten sich wie Tiere verhalten, wie Aasgeier, die nur darauf warten, dass der Löwe die Beute reißt. Das sei unwürdig, unanständig, unerhört! Hatten sie denn gar keine Fantasie? Wenn einer von ihnen jemals in Pierres Situation geriete, wie würde er dann über Klassenkameraden denken, die keinen Finger rührten, um ihm zu helfen? Die Sache müsse ein Ende haben, er werde selbst mit dem Rektor darüber sprechen, man könne ja wohl mindestens verlangen, dass sie mit diesen feudalistischen Methoden aufhörten.
    Danach ging der Unterricht ganz normal weiter, aber eben doch nicht wie normal.
    Nach dem Ende der Stunde ging die Klasse in drückendem Schweigen hinaus. Als sie ein Stück weit gekommen waren, äffte plötzlich Höken Kranich nach: »Warum geht ihr nicht zum Fach?«
    Dann lachte er.
    Und danach war es aus mit der vermeintlich einheitlichen Stimmung in der Klasse. Erik trat zwei Schritte vor, drehte Höken um, presste ihn gegen die Wand und die anderen versammelten sich hinter ihm, er hörte durch das Pochen seines wütenden Pulses, wie sie ihn aufforderten, dem Arsch das zu geben, was er verdient hatte. Höken hatte schreckliche Angst. Erik packte ihn noch fester am Kragen und stieß ihn dann langsam und sanft gegen die Wand.
    »Weißt du, warum ich dich nicht verprügeln werde, du Arsch?«, sagte er. »Nein, das weißt du nicht, so blöd, wie du bist. Aber um dir so viel Prügel zu geben, wie du verdient hast, müsste ich dich totschlagen, und das bist du nicht wert. Du verdammtes kleines Federvieh, du heißt jetzt Henne und nicht mehr Höken!«
    Hinter ihm jubelten und applaudierten die anderen aus der Klasse. Henne! Henne!, riefen sie im Chor und klatschten in die Hände, um den Spitznamen im Takt zu verkünden.
    Erik ließ Henne los und drehte sich um.
    »Und?«, fragte er. »Gibt es hier noch irgendwen, der etwas mit dem so genannten Fach zu tun haben will? Mit diesem Hennenhof, was?«
    »Wir machen eine Unterschriftenliste und fordern, dass sie zurücktreten«, schlug jemand vor.
    Von Henne und seinen beiden Kumpels abgesehen, unterschrieb die ganze Klasse, und in den folgenden Pausen und während des Mittagessens liefen sie durch die Mittelschule und sammelten weitere Unterschriften. Am Ende des Tages hatten über neunzig Prozent der Mittelschüler unterschrieben. Das Fach musste abgesetzt werden, das forderten die Regeln.
    Der Rat musste das akzeptieren.

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