Ewig sollst du schlafen
verzichten.«
»Ganz recht.« Sie schüttelte den Kopf. »Gut, was soll ich jetzt also tun?« Plötzlich tat sie wieder ganz geschäftsmäßig. Gefasst. Zähne zusammengebissen, der Mund ein harter entschlossener Strich. Sie waren schon ein merkwürdiges Team. Einige von den anderen Detectives hatten seinerzeit Wetten darüber abgeschlossen, wie lange die Partnerschaft andauern würde. Wenig sprach dafür, dass es lange sein würde. Doch bisher klappte es.
»Du musst den Behördenkram regeln. Anträge unterschreiben. Anrufe bei der Behörde. Das übliche Zeug.«
»Und was machst du?«
»Ich befasse mich natürlich mit anderen Fällen.«
»Hör doch auf.« Morrisette schnaubte durch die Nase. »Schon kapiert, so ziehen wir’s auf. Denn wenn Okano mitkriegt, dass du immer noch an diesem Fall mitarbeitest, und sei es nur in beratender Funktion, nimmt sie dir deine Dienstmarke weg.«
»Aber ich arbeite nicht mit.«
»Ja klar.«
Reed widersprach nicht, denn in dem Moment klopfte eine matronenhafte Angestellte an die Tür, trat ein und legte einen Stapel Post in den Eingangskorb. »Morgen.«
»Morgen«, antwortete Reed. »Wie sieht’s aus, Agnes?«
»Wie immer, wie immer.« Ihr Blick wanderte zum Schreibtisch. »Wie ich gesehen habe, stehen Sie in der Zeitung.«
»Es ist die Hölle, so beliebt zu sein.«
»Ja, nicht wahr?« Leise lachend entfernte sie sich. Reed verzog das Gesicht, löste das Gummiband von dem Briefbündel und ging den kleinen Stapel durch. »Ich würde ja gern wissen, wann wir endlich mit dem Jungen im Krankenhaus sprechen können.«
»Prescott Jones?«
»Ja. Erkundige dich nach seinem Zustand und danach, ob er Besuch kriegen darf. Fühl vor, ob wir kommen und ein paar Minuten mit ihm reden dürfen.«
»Du meinst, ob
ich
mit ihm reden darf.«
Reed verzog das Gesicht. »Genau. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass er den Mörder gesehen hat. Und in dem Fall wäre er bisher der Einzige. Nimm ein Foto von Marx mit und zeig es dem Kleinen. Und check dann noch mal dessen Alibi.« Während Reed seine Anweisungen gab, blätterte er weiter in dem Stapel Briefe. »Hast du schon mit jemandem an Barbara Jeans Arbeitsplatz gesprochen? Hexlers Juweliergeschäft in der Nähe vom Cotton Exchange.«
»Schon erledigt. Und ich habe mir eine Liste ihrer Freunde vorgenommen. Wie sieht’s mit Verwandten aus?«
»Wie gesagt, sie hat einen Bruder. Und ich meine, auch eine Tante. Der Bruder heißt …« Er blätterte in den Umschlägen. »Vic oder Val oder …«
»Vin. Vincent Lassiter. Den wollte ich mir vorknöpfen, aber er ist nicht aufzufinden. Vor einer Woche ist sein Telefonanschluss abgeschaltet worden, und er hat eine Haftstrafe abgesessen. Autodiebstahl, Hehlerei; auf Gewaltdelikte bin ich nicht gestoßen.«
»Respekt, du arbeitest wirklich gründlich.« Reed hob den Blick von seiner Post. »Ich tu nur meine Arbeit«, gab sie zurück. »Ich dachte, du könntest vielleicht Detective Montoya in New Orleans mit einem freundlichen Anruf beehren, um Lassiter noch einmal zu überprüfen. Inoffiziell, versteht sich.«
»Selbstverständlich.«
»Vielleicht weiß er was über Lassiter.«
»Gute Idee.« Er wandte sich wieder seiner Post zu und bemerkte den Brief.
Ein unauffälliger weißer Umschlag, handschriftlich an ihn adressiert.
»Scheiße.«
Als Absender wurde eine Adresse an der Heritage Road genannt. Kein Name. Er unterbrach seine Postsortierung und schlitzte den Umschlag auf. Er enthielt ein einzelnes Blatt Papier. Darauf stand:
EINS, ZWEI, DREI, VIER …
DU WÜSSTEST WOHL GERN,
WIE VIELE NOCH KOMMEN?
Er erstarrte. Las die Worte immer und immer wieder. »Was ist los?«, fragte Morrisette. Im nächsten Augenblick war sie auf den Füßen. Sie blickte ihm über die Schulter und studierte die Botschaft. »Dieser Schweinehund macht Ernst.«
»Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?« Norm Metzger war so wütend, dass seine Schnurrbartspitzen zitterten. Er knallte ein zusammengelegtes Exemplar der Morgenausgabe auf Nikkis Schreibtisch. Sie hatte erwartet, dass er explodierte, hatte den ganzen Vormittag über seine bösen Blicke aufgefangen und beobachtet, wie er unverzüglich dem Büro des Chefredakteurs zustrebte, als Tom Fink am Morgen auftauchte.
»Ich habe einen Ansatzpunkt gefunden und was daraus gemacht.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und blickte zu ihm auf, nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen. Sie war erschöpft, hatte wegen der Botschaft in ihrer Wohnung kein
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