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Ewige Versuchung - 5

Ewige Versuchung - 5

Titel: Ewige Versuchung - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Smith
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Insofern hatte sie in ihm eine verwandte Seele gefunden. War sie nicht einst die einzige Vierzehnjährige in ihrem Dorf gewesen, die jeden erwachsenen Mann in den besten Jahren an Kraft übertroffen hatte? Hatte sie nicht beinahe so schnell laufen können wie ein Pferd galoppieren?
    Ihr Vater hatte davon profitiert. Und heute tat es auf seine Weise auch Rupert. Sie bildete sich nicht ein, dass ihr Beschützer sie aus purer Herzensgüte aufnahm, auch wenn er freundlich gehandelt hatte und dafür ihre Loyalität verdiente. Nein, sie würde ihn nicht enttäuschen. Nach allem, was er für sie getan hatte, wollte sie Ruperts Groll nicht herausfordern.
    Also würde sie sich nicht ausmalen, wie es sich anfühlte, in Temples Armen zu liegen, oder in welchen Rausch sein Mund auf ihrer Haut sie versetzte. Sie würde einzig an den Auftrag denken, den sie erfüllen sollte, und sobald sie Temple aufgespürt hatte, würde sie Rupert eine Nachricht schicken oder den Vampir selbst gefangen nehmen. Was sie konnte, wenn sie es umsichtig anstellte.
    Sie redete sich ein, dass es das richtige Vorgehen war, dass die Pflicht wichtiger war als Gefühle, von denen sie glaubte, sie für Temple zu empfinden, drückte ihre Schultern durch und blickte weiter über den Bug des Bootes hinaus.
    Auf der ruhigen See war die Überfahrt so, als würde sie durch ein Tintenfass im Mondlicht gleiten. Regen lag in der Luft, und der sanfte Wind wehte eine salzig-feuchte Note herbei, die eine tiefe Melancholie in Vivian ansprach. Das Meer bei Nacht hatte etwas Wunderschönes, beinahe Wildes.
    Derweil rückte die kleine Insel beständig näher. Sie konnte bereits die erleuchteten Fenster der Häuser ausmachen, warm und einladend wie in einem schönen Gemälde. Ein süßer Hauch von Holzfeuer und frischem Gras mischte sich mit dem Salzwind.
    Sie war noch nie zuvor in Irland gewesen, obwohl ihre Mutter aus diesem Land stammte. Vielleicht empfand sie deshalb solch eine seltsame Vertrautheit. Ihr Herz wurde leichter, ihr Denken klarer, ja, es überkam sie ein herrlicher Frieden, trotz der Gefahr, der sie entgegentrieb.
    Und teils fürchtete sie, dass ihre Empfindungen eher dem Mann galten, dem sie hierher folgte, als dem Ort selbst.
    »Da wären wir, Miss«, verkündete der Fährmann jovial und manövrierte das Boot an den Steg. »Sicher gelandet wie in Abrahams Schoß, hab ich ja gesagt.«
    Vivian warf ihm ein dankbares Lächeln zu und raffte ihre Sachen zusammen. Dann steckte sie ihm ein paar Münzen zu und fragte: »Wissen Sie, ob es ein Gasthaus auf der Insel gibt?«
    Er sah sie an, als wüsste er nicht, ob er lachen oder staunen sollte. »Nee, so was gibt’s hier nicht. Hier sind nur die Leute, die auf der Insel leben, von denen braucht keiner ein Gasthaus«, antwortete er und blinzelte. »Wollen Sie etwa sagen, Sie wissen nicht, wo Sie hinsollen, Miss?«
    Ihr Lächeln wurde merklich angespannter. »Genau das wollte ich damit sagen, ja. Ich schätze, Sie kennen niemanden, der mich für ein oder zwei Nächte aufnehmen könnte, oder doch?«
    »Da ist die Garden Academy auf der Westseite. Missus Cooper-Brown hat bestimmt ein Zimmer für Sie frei.«
    »Academy?«, wiederholte Vivian ungläubig und schaute sich um. »Hier gibt es eine Schule?«
    »O ja! Eine richtig noble sogar – für junge Damen«, klärte er sie mit unüberhörbarem Stolz auf. »Und Missus Cooper-Brown ist eine Heilige, ein wahrhaft gottesfürchtiges Mädchen, sag ich Ihnen!«
    Vivian musste an sich halten, um keine Grimasse zu ziehen, dürfte eine solche Beschreibung wohl kaum auf sie zutreffen: eine junge Frau, die allein und in Männerkleidung reiste. Aber das konnte sie momentan nicht ändern. Wäre sie besser vorbereitet gewesen, hätte sie ein oder zwei Kleider eingepackt, aber an derlei Firlefanz hatte sie nicht gedacht.
    Überhaupt hatte sie nach Temples Kuss und waghalsiger Flucht nicht denken können.
    »Danke«, sagte sie zu dem alten Mann und lächelte, als er ihr die Hand reichte, um ihr von Bord zu helfen. Sie brauchte seine Hilfe nicht. Genau genommen hätte sie ihn sich wahrscheinlich über ihre Schulter werfen können und wäre immer noch heil auf den Steg gekommen. Dennoch nahm sie die Geste an und stieg auf festen Boden.
    »Auf Clare sind Sie unter guten Menschen, Miss«, beteuerte er mit einem mehr oder minder zahnlosen Grinsen. »Gehen Sie einfach die Hauptstraße den Hügel hinauf, und sehen Sie nach den Wegweisern zur Schule. Sie können sie nicht verfehlen.«
    Vivian

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