Ewige Versuchung - 5
Totgeburt aus dem Haus. Wäre die Missus nicht gewesen, wäre ich längst tot.«
Eine andere Frau nahm sie in die Arme. Vivian rührte die Zuneigung zwischen den Frauen und welche Umstände sie hergebracht hatten. Eine nach der anderen erzählten sie, welche Tragödien sie durchlebt hatten, bevor sie in die Schule kamen. Am Ende war Vivian überzeugt, dass Kimberly Cooper-Brown eine wahre Heilige war.
»Mein Vater verkaufte mich an eine Monstrositätenschau«, offenbarte sie den Frauen, nachdem alle gesprochen hatten.
Die kleine Agnes ergriff ihre Hand. Obgleich Agnes so zart war, hatte sie einen Händedruck, mit dem sie mühelos Nüsse hätte knacken können. Vivian musste sich zusammennehmen, um nicht das Gesicht zu verziehen, als ihr Schmerz den Arm hinaufschoss. »Du bist eine von uns, Vivian. Lilith wird auch auf dich achtgeben – sie muss!«
Mary knuffte das Mädchen heftig, was Vivian nicht verstand. Aber Agnes zog sofort ihre Hand zurück und wandte den Blick ab.
»Wie passt Temple in euren Glauben?«, fragte sie, dabei war sie nicht sicher, ob sie es wirklich wissen wollte. »Liliths Blut fließt in seinen Adern, nicht wahr?«
»Er ist etwas ganz Besonderes, o ja«, antwortete ein Mädchen, dessen Namen Vivian nicht kannte. »Ich glaube, er ist wie ein Priester oder ein Prophet.«
Die Vorstellung von Temple als Prophet war fast lachhaft, doch diese Frauen hegten größte Achtung für ihn. Deshalb ließ Vivian sich nichts anmerken.
»Ich würde gern mehr über Lilith wissen«, sagte sie. »Könnt ihr mir nicht alles über sie beibringen?« Je genauer sie wusste, woher Temples besondere Fähigkeiten stammten, umso eher konnte sie herausfinden, warum Rupert ihn so sehr verachtete.
Und vielleicht würde sie bei dieser Gelegenheit nicht bloß erfahren, weshalb die Frauen sie so königlich behandelten, sondern könnte auch ein gewisses Maß an Frieden finden. Eventuell schenkte Lilith ihn ihr.
Die Frauen wechselten Blicke, als wären sie unsicher, und es war Agnes, die schließlich mit einer für ihre jungen Jahre auffälligen Entschlossenheit antwortete: »Ich erzähle dir alles, was ich weiß.« Dann schaute sie sich am Tisch um. »Wir alle erzählen es dir, nicht wahr? Denn Miss Vivian ist eine von uns.«
Zustimmendes Gemurmel hob an, und eine nach der anderen sahen die Frauen lächelnd zu Vivian. Zum ersten Mal, seit Vivians Mutter damals schwerkrank geworden war, hatte sie das Gefühl, sie würde so akzeptiert, wie sie war – ohne Hintergedanken, ohne Erwartungen. Weder Temple noch Rupert gaben ihr das – egal, wie sehr sie sich Temple verbunden fühlte oder wie gütig Rupert zu ihr war.
Es kam ihr vor, als hätte sie endlich eine Familie.
Und je länger sie hierblieb, umso schwerer würde es ihr fallen, zu fliehen und den Ort sowie die Menschen hier hinter sich zu lassen.
Kapitel 10
E r verzehrte sich nach Vivians Blut, nicht nach ihr.
Das zumindest redete Temple sich ein, als er am Abend in der Bibliothek saß und der Hunger an ihm nagte. Ja, das war vollkommen natürlich. Vivians Blut machte ihn stärker, schärfte seine Sinne. Wenn er sie biss, sie schmeckte, fühlte er sich mehr als unbesiegbar. Er fühlte sich wie ein Gott.
Es musste ihr Blut sein, das ihn empfinden ließ, was er empfand, denn eine andere Erklärung duldete er nicht.
Und es half ihm keineswegs, dass ihr Duft überall war, wo er hinging. Dachte sie, er würde nicht bemerken, dass sie ihrem Gefängnis entkommen war? Er konnte sich nicht entscheiden, ob er beleidigt sein sollte, weil sie ihn für dumm hielt, oder beeindruckt von ihrer Gerissenheit. Sie war ein unerschöpflicher Quell an Überraschungen, seine Vivian.
Nur war sie nicht sein. Sie gehörte Villiers, und das in jeder Hinsicht, die ausschlaggebend war. Das kodierte Telegramm und ihre Weigerung, ihren Mentor des Mordes zu verdächtigen, waren Beweis genug.
Seine Vernunft sagte Temple, dass es albern von ihm war, sich so von ihr verraten zu fühlen. Er hätte an ihrer Stelle genauso gehandelt, wäre die Situation umgekehrt. Aber das milderte die Enttäuschung nicht, die in ihm rumorte und sein Inneres aufwühlte.
Sie hatte ihm ihr Blut und ihre Jungfräulichkeit geschenkt. Und obwohl er nicht um ihr Vertrauen bat, nichts getan hatte, um es rechtmäßig einfordern zu dürfen, erzürnte es ihn, zu wissen, dass sie diesen Teil von sich Villiers vorbehielt. Villiers verdiente nicht einmal, ihren Namen zu kennen. Dieser Mann wollte sie nur benutzen!
War
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