Ewige Versuchung - 5
mehr Familie, als es jemals jemand gewesen war.
Nun, mit Ausnahme von Temple. Es war merkwürdig, wie sehr er inzwischen Teil ihres Lebens geworden war und wie sehr sie ihn darin wollte.
»Was ist hier los?«, erklang eine Stimme von der Treppe. Es war Kimberly, die sie mit einer Miene beäugte, als wüsste sie nicht recht, ob sie amüsiert oder besorgt sein sollte.
Die Mädchen huschten eilig auf ihre Plätze zurück, so dass Vivian sich ihrer Gastgeberin stellen musste. Sie wischte sich die Wangen trocken. »Temple erzählte mir von Lilith, davon, was er glaubt, das ich bin. Die Damen hier liehen mir ihre Schultern, um mich auszuweinen.«
Der älteren Frau fiel die Kinnlade herunter, wenn auch nur für eine Sekunde, bevor sie sich wieder vollkommen fasste. Sie stand auf der Treppe, eine Hand am Geländer, und ihre Fingerknöchel waren recht weiß, obgleich sie ansonsten ruhig und gelassen wirkte. »Aha. Ich gestehe, dass ich ein wenig überrascht bin. Mich verwundert offen gesagt, dass er es tat, bevor du Gelegenheit hattest, von dir aus mehr herauszufinden, aber Temple wird wissen, was er tut.«
Vivian stutzte. An Kimberlys Worten war nichts Auffälliges, aber etwas an ihnen kam ihr falsch vor. Waren sie nicht ernst gemeint? Nein, der Whisky machte sie wohl übertrieben misstrauisch.
Ehe sie der anderen Frau noch eine Frage stellen konnte, schellte über ihnen die Türglocke.
Kimberly runzelte die Stirn. »Wer in aller Welt kommt um diese Stunde?« Sie raffte ihre Röcke und wollte die Treppe hinaufgehen.
Doch Vivian stand auf. »Ich gehe.« Temples Freunde waren alle hier, folglich bestand eine recht große Chance, dass es sich nicht um freundschaftlichen Besuch handelte. Und in diesem Fall war Vivian die Einzige, die sich selbst verteidigen konnte.
Kimberly nickte. »Na schön, aber ich komme mit dir.«
Der Frau, die dieses Haus leitete, konnte sie schlecht widersprechen, also nahm Vivian jeweils zwei Stufen auf einmal hinauf, so dass sie einen großen Vorsprung vor Kimberly hatte, lief durch die große Eingangshalle, dass ihre Stiefel auf den Fliesen knallten. Sie zog die Tür auf, ehe Kimberly es bis zur obersten Stufe geschafft hatte.
Draußen standen ein Mann und eine Frau, beide von ihnen gutaussehend und von angenehmem Äußeren. Er war groß, hatte sandfarbenes Haar und Augen, die im Licht wie Bronze schimmerten. Auch die Frau war groß, obgleich nicht ganz so groß wie Vivian, ihr dunkelbraunes Haar unter dem modischen kleinen Hut makellos frisiert, und sie hatte hübsche Mandelaugen.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte Vivian, die sich wieder einmal zu groß und in ihrem Aufzug zu »unmöglich« fühlte.
Hingegen schienen weder der Mann noch die Frau im mindesten Anstoß an ihrer Erscheinung zu nehmen. »Ich bin auf der Suche nach Mr. Temple«, erläuterte der Mann mit einem Akzent, bei dem Vivian unweigerlich an Ritter und Damen in Burgtürmen denken musste.
»Mr. Temple?« Vivian verschränkte ihre Arme vor der Brust und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, so dass sie nur wenig kleiner war als der Mann. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
Er grinste, was sein hübsches Gesicht noch schöner machte. Ja, er war wahrlich hübsch. Und charmant. »Mein Name ist Payen Carr, und dies ist meine Frau Violet.«
Für einen kurzen Moment drehte sich alles in Vivians Kopf. Violet?
»Sie waren vor Ihrer Heirat nicht zufällig Miss Wynston-Jones?«, erkundigte sie sich matt.
Die kleinere Frau sah sie an, wie sie eine beliebige Fremde ansehen würde. »Ach du liebe Güte, eilt mein Ruf mir voraus?« Ihr darauffolgendes Lachen klang vorsichtig. Offensichtlich schloss sie nicht aus, dass Vivian eine Bedrohung darstellen könnte.
»Kommen Sie bitte herein«, forderte Vivian sie auf und trat mit zitternden Beinen beiseite. »Temple und die anderen müssten im Salon sein.«
Kimberly beäugte alles aus einiger Entfernung, wobei sie einen seltsamen Gesichtsausdruck aufsetzte. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.
Vivian nickte. »Ich glaube, Temple erwartet Mr. und Mrs. Carr bereits.« Bildete sie es sich ein, oder wurde Kimberly bei dem Namen etwas blass?
»Hier entlang«, sagte sie zu den Besuchern und ging voraus zu dem großen Salon, den Temple als Treffpunkt für sich und die anderen auserkoren hatte. Ihre Beine fühlten sich etwas wacklig an, aber sie trugen sie. Wenn dies dieselbe Violet war, die Rupert einst hatte heiraten wollen, dann musste sie ein Vampir sein, denn sie sah
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