Ex
zuckte nur nichtssagend die Achseln: »Schicksal wahrscheinlich.«
»Und, würden Sie das als gutes oder als schlechtes Schicksal verbuchen?«
»Hmm, vielleicht hätte ich lieber ›Zufall‹ sagen sollen. Das klingt nicht so bedeutungsschwanger. Ein paarmal sah es ganz danach aus, aber es ist dann doch nie etwas daraus geworden.« Wieder ein Schulterzucken. »In meiner Familie hat man schon immer spät geheiratet.«
Joanna dachte kurz darüber nach und beschloß, es dabei zu belassen. Schließlich handelte es sich nicht gerade um einen Punkt von großem öffentlichen Interesse.
»Erzählen Sie mir doch, wie Sie auf das Forschungsgebiet gestoßen sind, in dem Sie heute arbeiten«, forderte sie ihn auf und schlug einen anderen Ton an, während sie in dem tiefen, abgeschabten Ledersessel ihre Sitzhaltung ein wenig veränderte.
Sam Towne dachte kurz nach. »Ich weiß nicht, ob ich das klar beantworten kann. Es hat sich ganz allmählich so entwickelt, Schritt für Schritt und doch irgendwie zwangsläufig.«
»Aber das scheinen doch sehr interessante Schritte gewesen zu sein. Sie haben als Physiker angefangen, dann Psychologie studiert und arbeiten jetzt am Institut für Parapsychologie. Gab es irgendwelche Ereignisse, die Sie dazu motiviert haben?«
Mit einem Kopfschütteln schien er sich dafür entschuldigen zu wollen, daß er keine plausible Antwort fand. »Ich habe mich immer mit dem beschäftigt, was mich gerade am meisten interessiert hat. So bin ich eben dazu gekommen.«
»Aber Sie haben mir einmal erzählt, daß sie noch nie eine übersinnliche Erfahrung gemacht haben. Sie haben noch nie einen Geist gesehen, noch nie im Traum in die Zukunft geblickt oder irgend etwas Ähnliches. Ist es also nur intellektuelle Neugier?«
Wieder dachte er einen Augenblick nach, bevor er antwortete. »Nun, da ist einmal etwas passiert, schon vor langer Zeit. Das könnte etwas damit zu tun haben.«
Mit geistesabwesender Miene starrte er in die Ferne, in eine andere Zeit, an einen anderen Ort.
»Ich erinnere mich nur daran, daß ich eine Straße am Cape entlangspazierte. Es war ein herrlicher Tag Anfang Juni, aber sonst war nichts Besonderes. Ich war allein und plötzlich, ohne Vorwarnung, kam mir aus heiterem Himmel ein Gedanke, der mir den Atem verschlug. Es war, als würde etwas in meinem Kopf explodieren. Dabei habe ich, glaube ich, nicht einmal meinen Schritt verlangsamt. Niemand hätte mir angesehen, daß sich etwas verändert hat. Doch ich hatte plötzlich das überwältigende Gefühl, daß etwas ganz Außerordentliches geschah.«
Nach einer kurzen Pause wollte er weitersprechen, doch dann hielt er wieder inne und kaute gedankenvoll an seiner Unterlippe. Anscheinend suchte er nach den richtigen Worten.
»Dieses ›außergewöhnliche Ereignis‹ war ganz einfach die Tatsache, daß ich da war, daß ich existierte, lebte, mir meiner selbst bewußt wurde. Daß ich Teil dieses Körpers war, den ich betrachten konnte, wenn ich an mir hinuntersah bis zu meinen Füßen, die sich auf dieser Straße vorwärtsbewegten. Irgendwie war ich gleichzeitig innerhalb und außerhalb dieses Körpers. Und so, wie ich es noch nie empfunden hatte, war ich auch Teil der Landschaft um mich herum, einer Landschaft, die mir plötzlich ganz fremd und neu vorkam, obwohl sich nichts daran verändert hatte. Dieses Gefühl war gleichermaßen erregend und erschreckend. Es kann nur wenige Minuten gedauert haben, aber in diesen Minuten war die Zeit ohne Bedeutung. Und irgendwie ist sie seit damals auch ohne Bedeutung geblieben.«
Als hoffte er, ihre Frage damit zumindest teilweise beantwortet zu haben, lächelte er sie zaghaft an.
»Nichts als ein stinknormaler Augenblick des Einsseins mit dem Universum, würde ich sagen. Das Komische ist nur, daß wir das komisch finden, wo es doch in Zivilisationen, die wir primitiv nennen, etwas Selbstverständliches ist.«
Sie dachte ein paar Sekunden über ihre nächste Frage nach. »Wann war das?«
»Oh, das ist sehr lange her.«
»Wie lange?«
»Länger, als ich zurückdenken kann.«
»Wie alt waren Sie damals?«
»Sieben.«
KAPITEL 10 Als sie ihr Gespräch beendeten, dämmerte es bereits. Er bot ihr ein Glas Wein an und holte eine Flasche aus seinem Kühlschrank. Als sie den bemerkenswert milden, trockenen Weißwein lobte, sagte er, es sei ein Condrieu aus dem nördlichen Rhône-Tal in Frankreich, das Geschenk eines Freundes, der für Restaurants an der Ostküste edle Weine
Weitere Kostenlose Bücher