Ex
keinen von ihnen ein Entrinnen gab.
Joanna betrachtete die drei Männer um sie herum. Pete war blaß, hatte die Arme gegen den Bauch gepreßt und sah aus, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen. Ward Riley stand stocksteif und beinahe unnatürlich still da, er atmete kaum, während er grimmig und stumm die ominöse Schrift am Fenster betrachtete. Roger Fullerton saß mit hängenden Schultern da, so erschüttert hatte sie ihn noch nie gesehen. Der Schock und die Resignation schienen ihn völlig teilnahmslos gemacht zu haben, so als ob für ihn endgültig der Punkt erreicht wäre, an dem jede Erklärung unmöglich geworden war.
Nur Sam bewies das, was man unter normaleren Umständen Geistesgegenwart genannt hätte. Bevor Joanna überhaupt merkte, daß er aufgestanden war, hatte er eine Kamera vom anderen Ende des Zimmers geholt und schoß bereits ein Bild nach dem anderen von der gekritzelten Nachricht. Dabei wechselte er ständig Standort und Perspektive, wie ein Paparazzo, der einem Prominenten vor einem Restaurant auflauert.
Joanna spürte, wie wieder der Ärger in ihr hochkam. Sie wollte ihn anschreien, ihm all das noch einmal vorwerfen, was sie ihm schon vor wenigen Augenblicken vorgeworfen hatte – nur noch lauter und heftiger, weil alles immer schlimmer und schlimmer wurde. Dieses Ding war hier bei ihnen in diesem Raum, drängte sich in ihr Leben, stellte all ihre Weltanschauungen auf den Kopf – und er lief herum und machte Fotos wie ein Urlauber am Strand.
Da spürte sie eine sanfte Berührung am Arm. Neben ihr stand Roger, mit tiefer Besorgnis in den Augen. War es nicht komisch, dachte sie, daß sie ihn gerade eben erst beobachtet hatte und nun feststellte, daß auch er sie beobachtete? Sie wollte etwas dazu sagen, irgendeine spaßige Bemerkung darüber machen, aber sie brachte nur ein Schluchzen heraus. Widerstandslos ließ sie sich von Roger zum Sofa führen und dankte ihm seine Freundlichkeit mit einem stummen Nicken. Roger strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, und in dieser Geste lag so viel Zärtlichkeit, daß sie zu Tränen gerührt war.
Da kniete sich Sam vor sie hin und blickte besorgt zu ihr auf. Er nahm ihre Hände.
»Alles in Ordnung…?«
»Mir geht es gut.«
Es war, als würden diese klar und deutlich gesprochenen Worte die Leere füllen, die von ihr Besitz ergriffen hatte und sie noch vor einem Augenblick zu verschlingen drohte. Das Schlimmste war überstanden. Allmählich kehrte die Wirklichkeit zurück, oder zumindest so etwas Ähnliches.
Ihr Blick fiel auf den Fotoapparat, der noch immer an Sams Hals baumelte. Mit einem schwachen, verlegenen Lächeln sah er sie an. »Ich mußte das einfach fotografieren. So etwas bekommt man nicht alle Tage zu sehen.«
Am liebsten hätte sie laut gelacht, doch sie traute ihrer Verfassung nicht – womöglich wäre etwas ganz anderes dabei herausgekommen. Also schüttelte sie nur den Kopf und drückte seine Hände ein wenig fester.
»Hab keine Angst«, sagte er, »es kann uns nichts anhaben.«
Damit hatte er allerdings genau das Falsche gesagt.
Joannas unterdrückter Zorn wallte wieder auf. Sie riß sich von ihm los. »Wie kannst du das sagen? Dieses Ding hat schon Maggie, Drew und Barry umgebracht…!«
»Das wissen wir nicht. Wir wissen es nicht, und ich glaube es auch nicht.«
Die anderen sahen zu ihnen herüber, doch Joanna kümmerte sich nicht darum. Sie waren alle zusammen in diese Sache verwickelt, und was auch immer jemand von ihnen zu sagen hatte, ging alle an.
»Was glaubst du denn, Sam? Würdest du uns vielleicht mal sagen, was deiner Meinung nach hier geschieht?«
» Wir tun das alles. Maggie starb an einem Herzinfarkt, Drew und Barry starben bei einem Autounfall. Wir suchen nach den Erklärungen.« Er deutete auf die Worte auf der Fensterscheibe. »Das waren wir. «
Ungeduldig lehnte Joanna sich zurück und schloß die Augen. Sie war zu müde und zu frustriert, um sich auf ein Streitgespräch einzulassen, und auch nicht ganz überzeugt von ihrem eigenen Standpunkt. Außerdem, was machte es schon für einen Unterschied? Die Dinge geschahen so oder so, es änderte nichts, wenn man wußte warum.
Schließlich brach Ward das Schweigen im Raum.
» ›Joie de vivre‹ ist der französische Ausdruck für Lebenslust, für die Freude am Leben«, sinnierte er.
Auch Pete betrachtete das Fenster, wo die Worte noch immer sichtbar waren, obwohl sich die Scheibe noch mehr beschlagen hatte. »Man muß schon ziemlich
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