Ex
überlegte, ob sie sein Angebot annehmen sollte, sondern weil sie nicht wußte, wie sie am besten antworten sollte.
»Ich bedauere«, erwiderte sie. »Das geht momentan einfach nicht.«
Warum hatte sie das gesagt – momentan? Wollte sie sich ein Eisen im Feuer halten? Diese Vorstellung war ihr zuwider. Sie hatte die Nacht mit Sam verbracht, sie liebte ihn. Und trotzdem ging von Ralph Cazaubon eine seltsame Faszination aus. Er war zweifellos attraktiv, doch da war noch mehr, etwas, was sie nicht in Worte fassen konnte.
»Ich verstehe«, entgegnete er.
Das tat er natürlich nicht, ging es ihr durch den Kopf. Wie sollte er auch? Doch auch jetzt stellte er keine Fragen und versuchte nicht, sie zu überreden. Er respektierte ihre Privatsphäre, schien ihre Absage aber nicht als endgültig zu betrachten.
»Darf ich Ihnen meine Telefonnummer geben?«
Ohne die Antwort abzuwarten, nannte er ihr seine Nummer. Und sie notierte sie auf einem Notizblock neben dem Telefon. Er nannte ihr auch noch seine Adresse – ein paar Blocks weit weg an der Eastside, zwischen Park Avenue und Lexington Avenue. Sie kannte die Straße gut, eine vornehme Gegend, mit großen, sehr teuren Häusern.
»Ich werde bald eine Party geben – wenn ich das Farbproblem gelöst und die Vorhänge gekauft habe. Vielleicht können Sie ja kommen. Ich schicke Ihnen jedenfalls eine Einladung.«
»Danke, ich… ich komme gern, wenn ich kann.«
Das war doch in Ordnung, oder nicht? Joanna war irgendwie durcheinander. Nicht direkt schüchtern, es war nicht diese Teenager-Verlegenheit, wenn man nicht weiß, was man sagen soll. Aber dieser Mann, dieser Anruf, hatte sie einfach auf dem falschen Fuß erwischt. Was weniger an ihm lag als an ihr. Was war nur los mit ihr? Wieder konnte sie es nicht benennen. Sie würde darüber nachdenken müssen.
»Nun, Sie haben sicherlich zu tun«, sagte er. »Ich will Sie nicht länger aufhalten.« Sie wußte, daß er ihre Befangenheit spürte und entgegenkommend sein wollte. »Entschuldigen Sie nochmals, wenn ich ein bißchen früh angerufen habe. Aber ich wollte sichergehen, daß… daß alles in Ordnung ist.«
»Danke. Es geht mir wirklich gut. Aber das war sehr nett von Ihnen.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, versuchte sie krampfhaft, ihn und dieses banale Gespräch aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie ärger-te sich über sich selbst, weil sie sich davon ablenken ließ, wo sie doch wirklich Wichtigeres zu tun hatte. Schließlich griff sie zum Telefon und wählte eine Nummer, die sie auswendig kannte. Eine verschlafene Frauenstimme meldete sich.
»Ghislaine? Das klingt ja, als würdest du noch im Bett liegen?«
»Hab’ die halbe Nacht gearbeitet. Hatte ’ne Deadline.«
»Gut – wenn das heißt, daß du jetzt Zeit hast und etwas für mich tun kannst.«
Ghislaine Letts machte die besten Recherchen von allen Leuten, die Joanna kannte. Phänomenal, sowohl was ihre Bildung als auch ihren IQ betraf, mangelte es ihr doch an der Disziplin oder dem Willen, sich längere Zeit in einem gewöhnlichen Job zu halten. Eigentlich hätte sie gelehrte Bücher schreiben oder irgendein bedeutendes Amt bekleiden und die Geschicke der Menschheit lenken sollen. Statt dessen wohnte sie in einem winzigen Apartment und schlug sich mit ihren Eßstörungen herum, deretwegen sie ständig zwischen bedenklichem Untergewicht und hoffnungslosem Übergewicht hin und her pendelte. Wenn sie das nicht in den Griff bekam, würde es sie irgendwann umbringen. Für Joanna aber war sie vor allem eine Freundin und ihre Geheimwaffe, wann immer sie etwas herausfinden mußte, was jenseits des Menschenmöglichen zu sein schien.
»Schieß los«, meinte Ghislaine mit einem unterdrückten Gähnen.
»Ich habe nur einen Namen, die Lebensdaten und einen Friedhof…«
KAPITEL 39 Ward Riley war wirklich steinreich, schoß es Joanna durch den Kopf, als sie zum ersten Mal sein Apart-ment im Dakota-Building betrat. Der neugotische Gebäudekomplex an der Central Park West Avenue war Ende des letzten Jahrhunderts erbaut worden und eine der renommiertesten Adressen von Manhattan. John Lennon wurde vor diesem Haus erschossen, und in den Sechzigern wurde der Film Rosemaries Baby hier gedreht, was beides dem Haus einige Berühmtheit eintrug. Und Menschen wie Joanna, die gerne Bücher lasen, kannten es als den Schauplatz des wundervollen Romans Time and Again von Jack Finney, in dem es um eine Zeitreise geht. Ein Haus mit einer interessanten Geschichte, dachte sie.
Ein
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