Exit Mosel
fragte Walde.
Sie verneinte stumm, während sie zum selben Zimmer wies, in das sie ihn am Morgen schon geführt hatte.
»Sie kennen wirklich niemanden, mit dem Edith Kontakt hatte?« Walde blieb in der Diele stehen.
»Ich weiß nicht.«
»Hat sie von jemandem gesprochen?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf.
»Was hat sie getragen, als sie weggegangen ist?«
»Eine Jeans und eine dunkelbraune Jacke, so eine Art Anorak mit Kapuze.«
»Dürfte ich einen Blick in ihr Zimmer werfen?«
»Das ist oben.« Die Frau blickte zur Decke.
»Gut.«
Sie zögerte. »Ich kann Sie nicht so ohne Weiteres … es würde Edith sicher nicht recht sein.«
»Vielleicht finden wir einen Anhaltspunkt dafür, wo sie sich aufhalten könnte.«
Die alte Frau hatte sichtlich Mühe beim Treppensteigen.
»Wir haben vereinbart, dass die Putzfrau einmal im Monat durchwischt.« Rosemarie Hippens öffnete eine Tür, blieb aber in der kleinen Diele des erstens Stocks zurück. Walde sah ein ungemachtes Bett, einen Schreibtisch, der aus einer breiten Holzplatte auf zwei Böcken bestand, und einen großen alten Kleiderschrank, in dessen mittlere Türen Spiegel eingelassen waren. Bevor er das Zimmer betrat, zog er seine Schuhe aus. Auf dem Parkettboden gab es keine Stelle, wo er, selbst mit kleiner Schuhgröße, einen ganzen Fuß hätte hinsetzen können. So suchte er sich nun auf Zehenspitzen einen Weg zwischen Schichten aus Hosen, Blusen, Pullis, Kleidern, Röcken und Strümpfen. Er verdrängte den Gedanken, dass es später einmal in den Zimmern seiner Töchter ähnlich aussehen könnte.
»Sie zieht alles nur einmal an«, sagte die Frau hinter ihm in klagendem Ton. »Und dann wandert es in die Waschmaschine. Edith lebt sehr zurückgezogen.«
Sollte das eine Erklärung für dieses Chaos sein, fragte sich Walde.
Auf dem Schreibtisch lag ein kleiner Bilderrahmen. Als Walde ihn umdrehte, erkannte er auf dem Foto Edith Hippens mit einem etwa gleichaltrigen Mann. Das Gebäude im Hintergrund erinnerte ihn an die psychiatrische Klinik.
»Ist es das Krankenhaus …«
»Ja, sie hat ihn in der Klinik kennen gelernt.«
»Und jetzt … haben sie noch Kontakt?«
»Ich glaube, er studiert nun auch hier in Trier.«
»Warum haben Sie uns das nicht gleich gesagt?« Walde war laut geworden.
Die alte Frau schien damit kein Problem zu haben. »Ich kenne ja nicht mal seine Adresse und seinen Nachnamen.«
»Die finden wir heraus«, sagte Walde. »Wie heißt er mit Vornamen?«
»Hanni.«
»Hanni für was? Hans, Hans-Peter, Johannes, Hannibal?«
»Ich weiß nicht, er ist dann auch in ihrer Gruppe gewesen, aber die dürfen sich ja eigentlich gar nicht privat treffen, also außerhalb.«
»Welche Gruppe?«
»Sie hat an einer Gruppentherapie teilgenommen.«
»Aus welchem Grund?«
»Das habe ich Ihnen doch gestern schon gesagt.« Wieder hatte ihre Stimme einen klagenden Ton angenommen. »Depressionen.« Rosemarie Hippens wedelte mit erhobenem Zeigefinger. »Das hat sie von ihrer Mutter!«
»Wissen Sie den Namen des Therapeuten?«
»Ich muss unten eine Rechnung von ihm haben.«
Auf dem Weg nach unten fragte Walde: »Hat Ihre Großnichte Medikamente genommen?«
»Lauter Naturzeugs.« Sie lachte bitter, während sie sich ans Treppengeländer klammerte. »Johanniskraut, Baldrian, Bachblüten und solchen Kram.«
»Warum haben Sie vorhin nichts von der Krankheit Ihrer Großnichte erzählt?«
»Sie haben nicht gefragt.«
*
Walde hatte schon befürchtet, die Praxis sei bereits geschlossen, als sich der Therapeut persönlich am Telefon meldete. In knappen Sätzen umriss Walde die Situation um Edith Hippens und die Gefahr, in der sie sich seiner Meinung nach befand.
»Ich kann Ihnen unmöglich die Telefonnummer eines Patienten geben. Wie wollen Sie beurteilen, ob Edith Hippens sich wirklich in Gefahr befindet? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie ihr noch nie persönlich begegnet.« Der Mann hörte sich keineswegs so ruhig und abgeklärt an, wie Walde sich einen Therapeuten vorstellte. Noch während er sich fragte, ob das vielleicht daran lag, dass er wahrscheinlich nicht gewohnt war, Fragen zu beantworten, kam die Frage des Psychologen. »Und wenn sie in Gefahr wäre, ist nicht gesagt, dass es Ihnen hilft, wenn ich Ihnen die Nummer von Hanni gebe.«
»Geben Sie uns die Chance, das herauszufinden.«
»Und ich verliere das Vertrauen eines Patienten, womöglich ohne Edith damit wirklich zu helfen.«
»Wenn es nicht ihr hilft, dann wenigstens
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