Expedition Mikro
aggressiven Zellen überhaupt unters Mikroskop zu bekommen und zu untersuchen, bevor sie sich durch den Objektträger gefressen haben. Was denkst du, was es für Mühe gemacht hat, ein Gefäß zu finden, um sie aufzubewahren, also einen Stoff, den sie nicht mit Appetit verspeisen.«
»Und da war sicher alle Mühe, dieses Boutilimit zu erhalten, von vornherein sinnlos?« fragte Ev.
Res schüttelte energisch den Kopf, stand dann auf, entnahm einem Fach neben dem Videorekorder eine Kassette und erläuterte:
»Und ob wir uns Mühe gaben. Hier, wenn du mal einen Blick dorthin werfen willst?«
Ev nickte aufgeregt.
Res schob die Kassette in den Apparat und drückte die Starttaste. Im nächsten Augenblick befand sich der Betrachter offenbar in einem niedrig fliegenden Gleiter, mitten im Zentrum Boutilimits. Erbaut wurde diese City um die Jahrtausendwende, ein Wechsel zwischen hochaufstrebenden Betonsäulen und flachen Quadern, unterbrochen die Fassaden von zahllosen Fenster- und Balkonfronten, aufgelockert durch Profanornamentik und stilisierte Plastiken. Zwischen den Bauten Betonplatten und Plastewege, Grünflächen, Springbrunnen, Asphalttrassen.
Aber es war dies keine Großstadt mit normal pulsierendem Leben. Nicht, daß keine Menschen zu sehen gewesen wären.
Im Gegenteil. Sie standen in Gruppen, diskutierten. Die Gesichter, sobald die Kamera einige herausgriff, zeigten Erregung, Empörung. Da und dort drohten sogar Fäuste zum Objektiv. Nur wenige Fahrzeuge fuhren. Die Schaufenster der Magazine waren leer, über einige zogen sich breite Klebstreifen.
Das Bild wechselte. Wieder Straßen. Vor den Häusern Menschengewimmel. Auf Lastgleiter wurden Gegenstände geworfen. Möbel, Bündel. Weinende Kinder waren zu sehen, erregte Mütter, hastende Männer. Da zwischen Uniformierte in Gruppen. Überall Unruhe und Chaos.
Dann tauchten lange Fahrzeugkolonnen auf. Sie fuhren in Staubwolken zum Großraumflugplatz, Gleiter stiegen auf, überladen. Erregte und weinende Menschengesichter huschten am Objektiv vorbei.
Eine Szene: Uniformierte der Sicherheitspolizei schoben eine alte Frau, die heftig gestikulierte, in einen Gleiter… Wieder ein Schnitt in den Aufzeichnungen. Ein gänzlich verändertes Bild – nein, es war die Stadt, Ansichten der City, aber menschenleer. Die stehenden Bilder, in gleißender Sonne gefilmt, vermittelten eine unheildrohende Stille. Der Kameragleiter stand, stand lange. Die Einstellung zeigte den Fuß eines Hochhauses von etwa dreißig Stockwerken. Vor dem Haus ein Grasstreifen, davor ein Plattenweg.
Die Kamera schwenkte auf den Plattenweg. Aber das waren keine Platten mehr, da lag eine brodelnde, graue, blasige Masse.
Dann ein Ausschnitt der gestrichenen Wandfläche: Die Farbe veränderte sich, Staub rieselte, die ehemals glatte Fläche wurde porig, schrumpfte zusammen. Langsam kroch es hoch, als söge ein Löschblatt graues Wasser. Das Staubrieseln wurde stärker, der Fuß der Wand versank in einer Wolke…
Dann verkleinerte sich das Bild. Der Gleiter entfernte sich.
Wenig später sackte das riesige Hochhaus in sich zusammen – ohne Detonation, nur begleitet von dumpfem Poltern, dem Singen reißender Stahlarmierungen und dem Bersten von Glas…
Eine Totale: Gespenstig sanken da und dort weitere Häuser in sich zusammen, andere kippten. Dann quoll Staub auf, hüllte mehr und mehr das Sterben der Stadt in eine barmherzige Wolke.
Plötzlich eine ganz andere Kameraeinstellung: Menschen in Schutzanzügen auf Tankwagen und Maschinen schoben Dämme, sprühten Schaum, schemenhaft in Aerosol und Staub. Sie arbeiteten hastig, aber nicht hektisch, ohne Panik.
Das Bild schwenkte auf einen Gleiter, der in etwa sechs Meter Höhe seitlich über dem Geschehen hing. In ihm stand ein ebenfalls vermummter Mensch vor einem Sprechgerät. Aber dann riß plötzlich das Bild ab…
»Das war ich«, sagte Res und räusperte sich.
»Entsetzlich«, sagte Ev. Ihr Gesicht war gerötet, Grauen stand noch im Blick.
»Ja«, bestätigte Res wortkarg, »grauenvoll und – gewaltig!«
Nach einer Pause fragte Ev: »Und die zweite Stadt, die auf dem Weg liegt, Noua…?«
»Nouakchott«, half Res. Sie zuckte leicht mit den Schultern.
»Muß wahrscheinlich vorsichtshalber auch evakuiert werden, aber planvoller, als die erste. Wir versuchen, bakteriologische und chemische Dämme zu errichten, um große Teile zu retten.
Leider haben diese alten Städte zuviel Beton, und wir brauchen einen massiven Schutzgürtel von
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