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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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Ende auf einen soliden Holzblock gehoben, während die Bootsbauer anfingen, auf dem Schilfbündel herumzuhüpfen und herumzutrampeln, bis es sich wie ein großer Stoßzahn krümmte. Damit war die Form des nach oben gebogenen Buges fertig, und zwei kürzere Schilfbündel, an jeder Seite eins, wurden mit vielen Schlingen an das erste angesetzt, jedes Schilfrohr einzeln, damit die Bündel dicht zusammenschlossen. Als das Boot die Länge erreicht hatte, die wir auf der Erde angezeichnet hatten, war das ganze Fahrzeug bis auf den Achtersteven in den symmetrischen Details fertig. Dort stand das Schilf immer noch wie die Borsten eines Reisigbesens ab und gab den Bootsbauern die Möglichkeit, das Boot ins Unendliche zu verlängern. Das Problem des Achterstevens lösten Omar und Mussa auf einfachste Weise. Sie nahmen die längste Machete und schnitten das überstehende Schilf wie einen Wurstzipfel quer durch. Jetzt besaß das Boot einen spitzen, nach oben gebogenen Bug und einen dicken abgeschnittenen Achtersteven und konnte zu Wasser gelassen werden. Das war das Werk eines Tages.
    »Kaday , sagte Mussa und tätschelte grinsend sein fertiges Werk. Das war das Buduma-Wort für das Schilfboot, auf das sich das Dasein dieses Volksstammes am See seit dem Morgen der Zeiten gegründet hatte. Keiner weiß, wann das war. Keiner weiß auch, wer ihre Lehrmeister gewesen waren. Vielleicht waren sie es selbst. Vielleicht besaßen sie aber auch entfernte Ahnen, die über die Karawanenstraße aus dem Niltal hergezogen waren. Hier jedenfalls hatte der alte Bootstyp überlebt, an allen Teilen des Sees, wo Schilf wuchs, sogar an den fernen Ufern, die zu den Republiken Niger und Nigeria gehören; überall werden die sinnreichen Boote in der gleichen traditionellen Weise gebaut, und überall gleichen sie sich, abgesehen von unterschied liehe r Länge und Breite, aufs Haar. In der Öffnung im Schilf, durch die wir den grasgrünen Kaday hinaustrugen, lagen vier große, aus riesigen Dschungelbäumen ausgehöhlte Holzkanus vertäut. Sie mußten mit dem Hochwasser den Fluß heruntergekommen sein. Wir benutzten die Kanus als Steg, um trockenen Fußes an Bord zu kommen. Omar zeigte verächtlich auf die schlanken Boote, die wie lange Badewannen halb voll Wasser waren. Es waren die Boote des Kanembu-Volkes, das keine Kaday bauen konnte wie die Budumas.
    Ich war gerade im Begriff, in unseren eben fertiggestellten Kaday zu springen, der wie eine krumme grüne Gurke schwamm, als Abdullah auftrat. Er stand plötzlich vor uns, als wir ihn am meisten brauchten, wie ein Geist aus Aladins Lampe.
    »Bonjour monsieur« , sagte er nur. »Ich heiße Abdullah und spreche Französisch und Arabisch; können Sie mich als Dolmetscher gebrauchen?«
    Eben das konnte ich. Wie sollte ich sonst von Omar und Mussa etwas lernen, wenn wir drei mit dem kleinen Gemüseboot auf den See fuhren?
    Abdullah trat wie ein gewandter Herr auf, eingehüllt in einen fußlangen weißen Umhang und mit der Haltung eines Cäsaren. Sein Gesicht war schwärzer als die Nacht, der Kopf glattrasiert wie bei Omar und Mussa, von der Stirn bis hinunter über den Nasenrücken war eine lange Narbe eingegraben. Seltsamerweise wirkte dieses Stammeszeichen eher pikant als störend, flankiert von zwei ungewöhnlich intelligenten Augen. Mit Lippen, die sich immer zu einem herzlichen Lächeln verzogen, und Zähnen, die sich schnell zu einem strahlenden Lachen Öffneten, war Abdullah durch und durch ein echtes Naturkind, ein wachsamer Helfer, ein wirklich lustiger Gefährte. Abdullah Djibrine hatte schon zwei roh zurechtgehauene Paddel herbeigezaubert und gab mir das eine.
    Als wir vier, einer nach dem andern, in unser schmales Papyrusboot sprangen und die Kameras surrten, um das Resultat zu verewigen, wurden wir Zeugen eines eigentümlichen Schauspiels. In Bol war Markttag, und mehrere Tausend buntgekleideter Menschen waren aus der Wüste und von den Inseln im See hierhergekommen. Der Marktplatz kochte förmlich vor Leben, man sah keinen Schimmer des Sandbodens zwischen den vielen Frauen, Männern und Kindern, die sich mit den Ellbogen durchdrängelten, auf dem Kopf Krüge, Körbe und gewaltige Bretter voll von duftenden Gewürzen, Stroh, Fellen, Nüssen, getrockneten Wurzeln, afrikanischem Korn. Narbige Fratzen, nackte Brüste, schreiende Kinder. Kluge Augen, mißtrauische Gesichter, flirtende Blicke. Der Gewürzduft mischte sich mit dem Geruch von frischem Eselmist, getrocknetem Fisch, Ziegen, Schweiß und

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