Extraleben - Trilogie
kürzertreten. Klamotten, Ausgehen und Einrichtung fielen hinten runter - und damit auch die Frauensache. Aber was soll's? Dafür mussten wir uns nicht mit lästiger Verantwortung rumschlagen. Der Status Quo war gerettet. Mehr wollten wir ohnehin nie - den Status Quo retten, einfach die C64-Zeiten einfrieren. Für mehr fehlte uns einfach der Hunger. Warum sich abstressen, um es einmal besser als die Eltern zu haben? Die hatten's doch schon gut genug, da musste man nicht zwanghaft einen draufsetzen, sich beweisen. Wir trieben lieber weiter durch unser kleines unverbindliches Otaku-Universum und überließen es anderen, sich zu stressen. Ambitionen sind was für unglückliche Leute - so lautete unser Motto. Oder war es vielleicht doch nur mein Motto? Nick scheint in letzter Zeit mit den alten Slacker-Werten nicht mehr viel anfangen zu können, sonst hätte er sich nicht ohne Not diesen ganzen Verantwortungsscheiß ans Bein gehängt - Sabina, das Haus, und da kommt bestimmt noch mehr. So, wie es aussieht, werde ich mir bald einen anderen Player Two suchen müssen, der das rote Männchen bei International Karate steuert. Er hat natürlich Recht: Dass uns die Datacorp engagiert hat, ist das Sahnehäubchen auf einer ohnehin schon riesigen Sahnetorte, der finale Glücksgriff in einem Leben voller Glücksgriffe. Auch diesen Hauptgewinn werden wir wieder als selbstverständlich hinnehmen, wie wir es immer getan haben. Doch diese bohrende Frage im Hinterkopf bleibt, und sie bohrt immer lauter. Wann gehen uns die Wunder aus? Früher oder später muss diese Glückssträhne mal zu Ende gehen, und dann sind wir echt gekniffen. Lange kann das nicht mehr gutgehen; bald - vielleicht schon morgen oder an Nicks berühmtem Ende des Tages - wird einer kommen und merken, dass wir absolut nichts können. Nein, halt, totaler Stuss. Was ist los? Nick macht es richtig und freut sich über jeden neuen Rechner, jede Stunde Flugzeug und jeden Meter Wüste. Führt doch alles zu nichts, jetzt können wir unmöglich umkehren. Es bleibt dabei: Ab morgen wird gelernt.
$0043
Spieler eins, sind Sie bereit? Spieler zwei, sind Sie bereit? Die Leuchtdiode neben dem Wort ARM glimmt weiter grün vor sich hin. Jetzt müssen wir runter, runter in die Dunkelheit. Hole, sweet hole. Die ersten Schritte gehen ganz leicht, denn noch sieht alles freundlich aus: ordentliche Betonstufen, zwar unbemalt, aber nicht schäbig, wie in der Parkgarage des Dorint eben. Die weiße Mittagssonne leuchtet alles gut aus; alles noch auf Alltag, bitte erst zur Kasse, dann zum Wagen. Es ist das Licht eines Tages, an dem glückliche Familien neben dem Highway ein Picknick machen oder einen Freizeitpark mit einer Wasserrutsche besuchen. Irgendwo im Halbdunkel unterhalb des ersten Treppenabsatzes geht flackernd ein Neonlicht an. Das Türschloss hat die Stromversorgung aktiviert.
»Nach dir.«
Der Beifahrer grinst, während er die schwere Stahltür mit der Schulter offen hält. Super. Am besten mit jedem Schritt immer zwei Stufen auf einmal nehmen, das wirkt entschlossen. Also los: Eins, zwei, drei, der erste Absatz ist geschafft. In diesem Moment lässt Nick die Tür los. Sie fällt mit einem dumpfen Krachen ins Schloss und sperrt das Licht des idyllischen Ferientages endgültig aus. Wir sind alleine mit uns und der Vergangenheit - bisher immer ein schönes Gefühl. Hinter dem ersten Absatz beginnt die Dunkelheit. Jetzt kriecht nur noch aus der Tiefe des Treppenhauses ein leichtes Glimmen hoch. Doch es sieht nicht einladend aus wie eine Laterne, die vor einem einsamen Gasthaus baumelt - ein weiteres schönes deutsches Wort -, sondern eher, als läge da unten Freddy Kruegers Heizungskeller. Mal sehen, wie weit es runter geht. Ich schaue links am Handlauf vorbei in die Tiefe. Lächerlich, nur ein paar Meter, kein Abgrund, immerhin. Das sah in Grönland anders aus.
»Komm schon«, flüstert Nick von hinten. Weiter also. Krr, krr, krr. Ein paar Schottersteinchen, die in den Zwischenräumen unserer Gummisohlen mitreisen, kratzen über den Beton. Im Treppenhaus steht die heiße Luft. Sie riecht nach Moder und Verfall, gar nicht mehr wie im schönen Dorint-Parkhaus, wo aus silbernen Lüftungsschächten stets ein frischer Frühlingsduft weht, sondern eher wie eine volle Biotonne, die eine Woche lang in der Julisonne geschmort hat. Wie war das mit dem Fledermaus-Problem? Die Viecher sollen ja üble Lungenkrankheiten übertragen, gegen die selbst die Profis vom Robert-Koch-Institut nichts
Weitere Kostenlose Bücher