Fänger, gefangen: Roman
wartet Mom nicht, bis Dad nach Hause kommt, um auszuflippen. Doch als Dad den Brief dann liest, tut er ihn als Standardverfahren ab.
Seht ihr? Schon wieder so ein Militärausdruck. Aber Mom gibt danach für eine Weile Ruhe.
Mack und ich sind grad mitten in einem Schachspiel, als eine zerbeulte schwarze Limousine neben der Thujahecke am Anlegesteg parkt.
»Wer ist das denn?« Mack zeigt auf den Wagen.
Er ist dabei, mich zu schlagen. Haushoch. Zumindest nimmt Mack keine Rücksicht auf meinen Zustand. Es nieselt. Vom Fiberglasdach des Hausboots ertönen feine
Pings!
und vom Fluss her fette
Pongs!
. Durch das Fernglas sehe ich das Bezirkssiegel auf der Fahrertür und das hellblaue Nummernschild für Fahrzeuge des öffentlichen Diensts.
»Eine von der Bezirksgestapo«, sage ich.
Die Fahrerin hupt und ruft dann etwas durch den fünf Zentimeter breiten Spalt, für den sie ihr Fenster heruntergekurbelt hat. Mack nimmt das Fernglas und schiebt seine Brille auf die Stirn, um es scharf zu stellen. Er spricht durch die Lasche des Haltebands.
»Vielleicht löst sie sich auf, wenn sie nass wird«, meint er.
»Wie die Böse Hexe des Westens«, füge ich hinzu.
Sie ruft erneut. »Ist eure Mutter da?«
Mack reicht mir das Fernglas. »Sie könnte ein Alien sein.«
»Nichts so Spektakuläres. Nur irgendeine neugierige Sozialarbeiterin. Ohne Namen, mit versteckter Kamera in der Nase. Sie beschatten uns.«
Sie muss uns für schwerhörig halten, denn sie schreit noch lauter. »Ich habe gefragt, ob eure Mutter da ist!«
Mack zuckt mit den Schultern und schmunzelt. Ich schreie zurück: »Nein, Ma’am!«
»Seid ihr Jungen allein?«
»Nein, Ma’am«, rufen wir gleichzeitig, und ich muss lachen, weil das hier alles so absurd ist.
Stepford-Hanes hat uns beigebracht, präzise zu sein. Wir haben die Frage exakt beantwortet, und trotzdem ist die Böse Hexe vom Jugendamt nicht glücklich. Ich spüre, dass sich alles in mir zusammenzieht wegen der beleidigenden Unterstellung, dass wir wohl zu jung wären, um allein zu sein.
Auf das Geschrei hin kommt mein Vater aus der hinteren Kabine, einen Finger in das Buchmanuskript geklemmt, das er gerade lektoriert. Er drückt es gegen die Brust, geht dicht an der Seite der Kabine vorbei, um unter dem Dach zu bleiben, und klettert die Leiter zum Oberdeck rauf. Er krümmt sich schützend über das Manuskript und läuft zu uns unter das Bimini-Verdeck, das dem feuchtwarmen Regen einigermaßen standhält. Er schirmt mit einer Hand die Augen ab und späht übers Wasser.
»Wessen Auto ist das?«, fragt er mich.
Ich gebe Mack ein Zeichen, damit er Dad das Fernglas gibt. »Irgendeine Frau von der Behörde, vielleicht vom Jugendamt.«
»Warum schreit die so?«
Mack schiebt seinen Stuhl zurück, um Dad im Trockenen Platz zu machen, während ich unsere Analyse der Situation wiedergebe. »Sie will mit Mom sprechen.«
Dad geht zum Rand des Bimini und schreit durch die Wand aus Regen über den Creek: »Was wollen Sie von Mrs Landon?«
Den Mund an den Fensterspalt gedrückt, schreit die Frau zurück: »Entschuldigen Sie, Sir, aber wir dürfen nur mit Familienangehörigen reden. Sind Sie mit Daniel Solstice Landon verwandt.«
»Ich bin nur sein Vater.«
Als ihr Null-Check-Hirn diese Information nach einer Minute verarbeitet hat, verkündet sie in amtlichem Ton: »Ich bin hier, um eine Hausprüfung vorzunehmen. Ich folge Ihnen zu Ihrem Haus.«
Doch sie bleibt in ihrem Wagen sitzen. Sie ist ganz offensichtlich verwirrt, aber mit diesen Verrückten will sie wohl kein Risiko eingehen. Mein erster Gedanke ist, dass das Jugendamt Ferngläser an seine Mitarbeiter verteilen sollte, damit sie sich nicht wie Hirnis anhören. Und Schirme, damit sie den Elementen trotzen können, um zivilisierte Gespräche zu führen. Tatsächlich ist es wohl besser, dass sie keine Details erkennen kann. Dad trägt eines seiner ältesten Lieblings-T-Shirts von den Beatles: WHY DON’T WE DO IT IN THE ROAD. Die Böse Hexe würde wohl ohnmächtig werden wie diese Frauen in den Büchern von Jane Austen. Und dann definitiv keinen schmeichelhaften Bericht über die Landons verfassen.
Dad gibt mir das Manuskript und lehnt sich weit über den Rand des Daches. Vielleicht, damit sie sehen kann, dass er tatsächlich alt genug ist, um Vater zu sein. Der Regen sprüht an den Schultern kleine Punkte auf sein T-Shirt. Er will etwas sagen, dann legt er den Kopf schief wie zu einer Frage, weil plötzlich Wind aufkommt. Er räuspert sich und
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