Fahrt zur Hölle
Ich teile Ihre Vermutung, dass Wollenhaupt über Wissen aus dem beruflichen Umfeld verfügte, das ihm zum Verhängnis wurde.«
»Sie meinen, er hat etwas entdeckt und es für eine Erpressung genutzt?« Herdejürgens klang überrascht. »Er scheint nicht der Mann für so etwas gewesen zu sein.«
»Auszuschließen ist das nicht«, sagte Lüder. »Vielleicht hat er aber auch etwas gesehen, das so brisant ist, dass er für seine Entdeckung hat sterben müssen.«
»Das klingt ja aberwitzig. Befinden wir uns unfreiwillig mitten in einem Spionagethriller? Wir sind hier in Flensburg. Das ist Randdeutschland. Tiefste Provinz.«
»In Deutschlands Spitze. Ganz oben. Topp«, korrigierte ihn Lüder.
Herdejürgens lachte. »Wie gut, dass wir das wissen. Wenn wir neue Erkenntnisse haben, informiere ich Sie. Wie erreiche ich Sie?«
»Ich melde mich.« Lüder verabschiedete sich. Anschließend rief er Walter Rukcza an.
»Sie rufen spät an«, sagte der Staatsminister unwirsch zur Begrüßung.
»Mein Kaffeekränzchen hat ein wenig länger gedauert«, erwiderte Lüder und amüsierte sich, dass am anderen Ende der Leitung Stille herrschte. »Die Kommunikation nach Kenia ist sehr dürftig. Selbst das allumfassend informierte Boulevardblatt ist hier nicht zu erwerben. Ist es ein Staatsgeheimnis, oder liegt inzwischen eine Lösegeldforderung der Kidnapper vor?«
Die Antwort klang ein wenig atemlos. »Wie sprechen Sie mit mir? Was erlauben Sie sich?«
»Alles«, antwortete Lüder. »Ich fühle mich an der Nase herumgeführt. Was wird hier gespielt? Sie schicken mich nach Afrika, und ich stochere hier ohne vernünftige Grundlage im Nebel herum. Offenbar weiß jeder, wer ich bin und was ich hier will. Nur ich selbst nicht. Was halten Sie davon, wenn ich meine Koffer packe und nach Hause fliege? Das freut sicher den deutschen Steuerzahler.«
»Sie sind Beamter und unterliegen einer Treuepflicht«, sagte Rukcza aufgebracht.
»Sie vergessen, dass ich Landesbeamter bin. Schleswig-Holstein ist ein wunderschönes Land, endet im Süden aber an der Elbe. Also! Gibt es inzwischen einen Kontakt zu den Entführern?«
»Nein.« Rukcza klang wesentlich kleinlauter. »Wir wissen nicht, was dort gespielt wird. Der Vorgang steht unter direkter Beobachtung des Kabinetts. Er ist zur geheimen Chefsache erklärt worden. Ich muss zweimal täglich Bericht erstatten.«
»So so«, sagte Lüder spitz. »Wem verdanke ich die Vorbereitungen für die Reise und die großzügige Ausstattung mit Kreditkarte und Material?«
»Für die Organisation ist Herr de Buur zuständig.«
De Buur vom Bundesnachrichtendienst. Das half Lüder nicht weiter. Wenn es sich um eine brisante politische Angelegenheit handeln würde, hätte man nicht die Polizei eingeschaltet, schon gar nicht eine Landespolizei. Das fiel weder in deren Kompetenzbereich, noch waren sie dafür ausgerüstet.
»Herr Rukcza. Ich erwarte morgen – spätestens! – eine verbindliche Auskunft darüber, was die ›Holstenexpress‹ geladen hat. Finden Sie es nicht auch merkwürdig, dass der einzige Mensch, der vermutlich etwas über die Ladung hätte sagen können, ermordet wird? Dabei gehe ich davon aus, dass Wollenhaupt auch nicht informiert war. Papier ist geduldig.«
»Ich weiß es nicht.« Rukcza sprach leiser, als fürchtete er, man würde zuhören.
»Auch wenn Sie flüstern, hört der BND bei unserem Telefonat mit«, sagte Lüder bestimmt. »Hallo, Schlapphüte!«
»Herr Lüders!« Der Staatsminister klang empört.
»Wir werden uns nach meiner Rückkehr unterhalten«, sagte Lüder.
Es klang wie eine Drohung. Es war eine Drohung. Als er auflegte, ließ er einen unzufrieden klingenden Berliner Spitzenpolitiker zurück.
Sein nächster Anruf galt Sebastian Herzog von der deutschen Botschaft.
VIER
Lüder hatte unruhig geschlafen. Auch der Besuch in der Hotelbar hatte ihm nicht die Bettschwere verschaffen können, die für eine erholsame Nachtruhe vonnöten gewesen wäre. Immer wieder war er wach geworden, und seine Gedanken kreisten um die entführte »Holstenexpress«.
Im Frühstücksraum herrschte ein lebendiges Treiben. Neben europäischen Gästen traf er auf Afrikaner, die mit ihrer zum Teil folkloristisch anmutenden Kleidung bunte Farbtupfer bildeten. Zu den farbenfrohen Gewändern passte auch ihre Lebendigkeit. Die Mehrheit unter ihnen schien die Fröhlichkeit für sich gepachtet zu haben.
Lüder entschied sich, auf Experimente zu verzichten, und wählte aus dem reichhaltigen Buffet
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