Faith (German Edition)
in aller Frühe auf. Eine Nacht auf hartem Steinfußboden in einem kühlen, unterirdischen Gewölbe war nicht besonders erholsam.
Die Felsgänge, durch die Richard stolperte, waren kreideweiß.
Fußböden und Wände gingen so nahtlos ineinander über, dass ihm fast schwindlig wurde.
Er hatte auf Ben gewartet, immer wieder an der Tür gerüttelt, gerufen, bis seine Stimme versagte.
Einmal meinte er, eine Antwort auf der anderen Seite zu hören, aber vielleicht war es nur sein Wunsch den Freund zu hören, der ihm Bens Rufe vorgaukelte?
In der Hoffnung, einen Ausgang aus diesem verwirrenden Höhlensystem zu finden, war er gegen Mittag losgelaufen. Er ahnte nicht, dass Ben zur gleichen Zeit die Ruine verließ.
Sein Ortssinn half ihm hier unten nichts.
Eine Höhle öffnete sich, ein Gang verzweigte sich, ohne dass irgendwo ein Ende in Sicht wäre.
Richard war verzweifelt. Er hatte Durst. Langsam stieg Panik in ihm hoch.
Leises Gluckern ließ ihn aufhorchen.
Er war wieder an einer Abzweigung angekommen und wählte die Richtung, aus der er das Geräusch vernommen hatte.
Vor ihm gähnte die Öffnung einer Grotte, die von einem Wasserbecken völlig ausgefüllt war.
Im Wasser standen weiße steinerne Säulen, die bis knapp unter die Oberfläche reichten. Auf jedem der überspülten Sockel saßen grotesk anmutende steinerne Figuren. Mit ihren kräftigen Klauen schienen sie sich an ihren Sitzplätzen festzukrallen.
Einige erinnerten mit ihren breiten Mäulern an Riesenfrösche. Andere glichen eher Vögeln mit gebogenen Schnäbeln. Jede dieser bizarren Gestalten war mit einem Paar riesiger Flügel ausgestattet und sah aus blinden, leblos wirkenden Augenhöhlen Richard reglos entgegen. „Gargoyles, ganz besonders hässliche Exemplare“, dachte Richard.
Wenn er diese Grotte durchqueren wollte, musste er durch das Wasser schwimmen, kein noch so schmaler Steg führte am Wasser vorbei.
Auf der anderen Seite lockten zwei Wege.
Und anders als bisher, wirkte einer der Gänge weniger kreidig.
Dort vibrierte ein gelblicher Schimmer, als ob warmes Sonnenlicht den weißen Wänden etwas Farbe gäbe.
Das Wasser im Becken war glasklar mit einem bläulichen Schimmer.
Der Boden des Beckens bewegte sich, als ob er atmete. Tausende von schneeweißen krebsartigen Tieren bewegten sich unablässig über- und untereinander, als seien sie ständig auf der Flucht.
Als Richard genauer hinsah, konnte er auch den Grund für das seltsame Verhalten erkennen.
Die Tiere versuchten, sich vor armdicken, etwa zwei Meter langen Schlangen zu verstecken, die, ebenso durchsichtig blau wie das Wasser, im ersten Moment nicht zu erkennen gewesen waren.
Richard schüttelte sich. Das Becken war tief und die Wasserschlangen bewegten sich auf dem Grund, aber was würden sie tun, wenn er versuchte, die andere Seite schwimmend zu erreichen?
Er musste es versuchen. Zurück konnte er nicht, er würde sich in den endlosen Gängen niemals zurechtfinden. Seine Schuhe band er an den Schnürsenkeln zusammen und hängte sie über die Schultern.
Obwohl ihm sein Erlebnis mit den Chimären, die ihn beinahe unter Wasser gezogen hätten, noch in den Knochen steckte, watete er tapfer in das eiskalte Wasser des Sees. Er spürte die Berührung der glatten Schlangenkörper an seiner Haut. Kaum, dass er den ersten Zug getan hatte, ringelte sich die erste wie ein gläsernes Band um ihn herum. Er schlug panisch um sich, versuchte, den Kopf über Wasser zu halten. Es gelang ihm nicht. Sie wand sich um seine Glieder, rollte sich um seinen Hals und wickelte ihren glatten kühlen Leib um seine Arme. Richard rang nach Luft und sank hilflos verknotet auf den Grund.
„Faith“, dachte er, bevor er das Bewusstsein verlor.
Stundenplan und Lehrerkonferenz
Vor dem schwarzen Brett in der Halle standen seit dem Morgen immer wieder Schüler der höheren Klassen.
Sie schrieben eifrig, dann und wann mit einem Aufstöhnen, die neuen Zeiten für ihre Kurse ab.
Jetzt am Nachmittag, die meisten der Externen waren schon nach Hause gegangen, standen nur noch Viktor und Valerie mit Bruno vor dem Anschlag.
„Stöhn!“ Valerie seufzte tief und schrieb sich den Mathekurs ins Heft. Mathematik bei Dr. Wallch! Wenn sie nicht Bruno gehabt hätte, der ihr Nachhilfe in Mathematik und Physik gab, wäre sie in diesen Fächern hoffnungslos verloren gewesen.
Das lag weniger an ihrem Unverständnis als vielmehr an Dr. Wallch. Der Lehrer für Mathematik war ein ausgesprochener Sadist. Er weidete
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