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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Das Leben in Prag wurde aber aus vielen anderen Gründen unerträglich.
Die Abgebrühtheit und Gefühlsstumpfheit ging so weit, daß man es wagen konnte,
an den Abenden tapfere Jäger herbeizurufen, um in der Innenstadt die lästigen
und die alte Bausubstanz gefährdenden Tauben zu dezimieren. Das Abschießen
geschah vor aller Augen. Die Jäger kamen mit ihren kleinkalibrigen Gewehren und
begannen systematisch, die Tauben ins Visier zu nehmen. Mitten in der Stadt,
regelmäßig zum Beispiel auf dem Altstädter Ring. Diejenigen Vögel, die sich auf
die vielen Simse der umliegenden Häuser oder auf entferntere Dächer gerettet
hatten, wurden mit ruhigen Schritten verfolgt und - ahnungslos, wie sie waren -
dort erwischt. »Peng« ... und »Klatsch«, »Peng« und ... (nach dem senkrechten
Flug auf die Pflasterung) »Klatsch«. Ich höre das bis heute.
    Nachdem
ich kein Müllmann werden durfte und nur ein einfacher Ausfahrer geworden war, wußte
ich, daß ich mich irgendwann würde umorientieren müssen. Etwas in mir wollte
unbedingt aus der Stadt heraus. Den Anlaß lieferte mir ein Mädchen, das eines
Tages zwischen zwei parkenden Lastern vor mein bremslahmes Lieferauto gelaufen
war. Das Mädchen kam mit einer leichten Gehirnerschütterung davon. Ich lobte
mich still für meine Reaktionsschnelligkeit, war mehr als erleichtert und auch
stolz. Ich hatte im engsten Prager Straßenlabyrinth, in das damals noch jeder
Verkehrsverbrecher hineingelassen wurde, kompromißlos, trotzdem zentimetergenau
fahren gelernt, und da ich bis dahin niemanden umgebracht hatte, war es
wirklich höchste Zeit zu verschwinden. Daß mein aktueller Beruf von der Politik
unabhängig war, reichte mir inzwischen nicht mehr. Außerdem hatte meine
aktuelle Existenz auch mit einer bescheiden hellen Zukunft - trotz des
wiederholten Ausfahrens von glänzenden Klosettschüsseln - wenig zu tun. Und ich
wohnte immer noch brav zu Hause.
    Am Anfang
meines Berufslebens wollte ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten noch
verantwortungsvoll einbringen, meiner schönen Geburtsstadt etwas zurückgebenund
wenigstens in einem begrenzten Umfang ein bißchen Ordnung in das allgemeine
Chaos bringen. Ich machte in meinem Betrieb auf ungesicherte Schwachstellen unserer
Lagerhallen aufmerksam und warnte vor Dieben - bald danach wurde tatsächlich
eingebrochen. Auf den Baustellen befestigte ich manchmal wackelige Bauteile,
die drohten, Menschen zu erschlagen, unterwegs entfernte ich von den Fahrbahnen
massive Metallstücke oder ganze Aggregate, die marode Fahrzeuge verloren
hatten, oder ich steckte in irgendwelchen Nebenstraßen augenfällige Äste in
offene Gullylöcher, um diese wenigstens für andere Fahrer, die nicht immer
aufmerksam nach vorn schauten, sichtbar zu machen. Meine schöne Stadt und mein
Land waren aber nicht mehr zu retten. Sogar mein Lieferauto wurde trotz meiner
Fürsorge gemeingefährlich, und ich konnte dagegen wenig ausrichten. Die
Mechaniker meines Betriebes waren faul und schickten mich immer wieder weg, wenn
ich sie auf irgendwelche Klappergeräusche aufmerksam machte. Sie schauten sich
beim Vorbeigehen manchmal schnell das und jenes an, traten gegen die Räder,
bückten sich leicht, um zu sehen, ob am Chassis noch alles dran war. Wenn ich
dort Risse sauberwischte und sie ihnen zeigte, vertrösteten sie mich, der
Zustand meines Autos sei außergewöhnlich stabil.
    - Diese
Risse sind uralt, daran hat sich seit Jahren nichts geändert.
    Als einmal
ein Rohrleger von seiner Straßengrube aus einen Blick unter mein parkendes
Ungeheuer geworfen und mich darauf aufmerksam gemacht hatte, daß an der
Antriebswelle kurz vor dem Differentialgetriebe vollkommen lose Schrauben
baumelten, traute ich mich auf dem Garagenhof, einen Mechaniker anzubrüllen.
Das war leider ein grober Fehler. Ich war ein Neuling, war viel zu jung und
hatte die im Betrieb herrschende Hierarchie mißachtet - als Strafe bekam ich
vom Meister persönlich einen spontanen Schwergewichts-Arschtritt, den ich zwei
Wochen späternoch spürte. Die Tritte des Hausmeisters Erben während meiner
Schulzeit waren wesentlich liebevoller.
    Ungeheuerlichkeiten
begegneten einem überall, wohin man kam. Im Großhandel für Kabel fiel mir
einmal auf, daß man dort beim Verkauf der Meterware keine Latten oder andere
Hilfsinstrumente zum Messen nutzte, sondern einfach nur an den Kabeltrommeln
kurbelte. Einer der Männer drehte und drehte und ließ das Kabel auf den Boden
fallen. Der zweite kam dann mit

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