Falaysia - Fremde Welt: Band 1 (German Edition)
schlich. Merkwürdigerweise waren die Pferde völlig ruhig. Jenna hätte eigentlich erwartet, dass sie scheuten oder gar versuchten zu fliehen, aber sie standen bewegungslos auf ihren Plätzen und schienen sogar fast zu dösen. Irgendetwas stimmte nicht.
Der Wolf blieb nun stehen und starrte mit seinen unheimlichen Augen zu Jenna hinüber. Ein leises Knurren drang aus seiner Kehle und endete in einem durchdringenden Jaulen, das Jenna ein weiteres Mal erschauern und ihre Innereien völlig verkrampfen ließ. Sie machte sich auf alles gefasst. Es war ja wieder klar, dass dieses Vieh gerade sie als besonderen Leckerbissen auserkoren hatte.
Doch die Bestie bewegte sich nicht von der Stelle und machte auch keine Anstalten, zu einem tödlichen Sprung anzusetzen. Ihr Blick wanderte zu Marek, heftete sich an die blutende, mit Schlamm verschmutzte Wunde. Speichel rann aus ihren Lefzen und wieder ertönte dieses Knurren, nur klang es am Ende noch jämmerlicher als zuvor. Ihr kahler, mit dicker Hornhaut überzogener Schwanz peitschte wütend auf den schlammigen Boden, während sie immer noch auf ihrem Platz verharrte.
Jennas besorgter Blick wanderte zu ihrem Gefangenen. Sogar um ihn hatte sie Angst. Und gleich würde nichts mehr von ihm übrig sein. Marek schien die Tatsache mit Fassung zu tragen. Jenna konnte nicht einen Funken von Angst in seinen Augen entdecken. Nein, in ihnen lag sogar so etwas wie Faszination und erst in diesem Augenblick bemerkte sie, dass er nicht das Untier ansah, sondern sie. Nein, nicht einmal sie, sondern vielmehr ihre Brust.
Jenna erschrak, als sie seinem Blick folgte. Der Stein, den sie sich um den Hals gebunden hatte, leuchtete wie eine grellrote brennende Flamme. Es war sein Licht, dass sie alle umhüllt hatte, ohne dass Jenna davon Notiz genommen hatte. Und es schien so, als würde es sich weiter ausbreiten, auf den Saruga zustreben.
Der seltsame Wolf heulte erneut und wich ein paar Schritte zurück. Wieder zog er einen Kreis um sie, nur mit einem wesentlich größeren Abstand als zuvor. Mit einem Knurren sprang er ein Stück vor, bäumte sich dann aber mit einem schmerzerfüllten Schrei auf und wich wieder zurück. Er bleckte die Zähne und stieß ein wütendes Fauchen aus. Dann warf er sich auf einmal herum und verschwand im Nebel.
Ungläubig starrte Jenna wieder auf den Stein vor ihrer Brust, dessen Licht nun langsam schwächer wurde, bis er sein altes, warmes Leuchten zurückgewonnen hatte. Was für eine seltsame Macht hatte sie da nur gestohlen? Sie war schockiert, fasziniert, begeistert und beängstigt zur selben Zeit und als sie aufsah, erblickte sie dasselbe Gefühlschaos in Mareks eisblauen Augen, die sie immer noch fixierten.
Leon war der erste von ihnen, der seine Sprache wiederfand. „Wir... wir sollten weiterziehen“, brachte er etwas kurzatmig heraus. Auch er sah sie einen Moment lang an, mit eindeutigem Unbehagen. Dann trieb er schnell sein Pferd vorwärts und zwang somit auch Marek dazu, sich wieder von ihr und dem Stein loszureißen.
Jenna holte tief Luft, straffte die Schultern und trieb dann ebenfalls ihr Pferd vorwärts. Ihre Gedanken kreisten allerdings nur noch um ein Thema: Sie hatte sich und die beiden Männer gerettet und wusste nicht wie. Sie verstand jetzt noch weniger als zuvor, was es mit diesem Stein auf sich hatte. Schließlich hatte sie überhaupt nichts getan. Sie hatte noch nicht einmal daran gedacht, etwas zu tun. Sie war völlig hilflos gewesen, in Panik, und dennoch hatte der Stein gehandelt, ganz eigenmächtig, ohne ein Zutun von ihr. Sie verstand das alles nicht und sie fragte sich, ob ihr das überhaupt jemals gelingen würde.
Es gab mehrere Stufen der Erschöpfung – das hatte Jenna in der kurzen Zeit, die sie jetzt in Falaysia war, schnell gelernt. Erschöpfung, totale Erschöpfung und scheintot. Die Stufe ‚Scheintot‘ hatte sie beinahe erreicht, als sie endlich nach der nervenaufreibenden Wanderung durch den Sumpf und weiteren Stunden anstrengenden Reitens und Laufens durch eine ziemlich hügelige und steinige Ebene an einem großen See Rast machten. Am Horizont zeichnete sich bereits die Silhouette des Latan-Gebirges ab, das den Übergang von Allgrizia nach Trachonien markierte, und Leon hatte entschieden, dass sie sich nun tatsächlich eine längere Pause leisten konnten.
Sie hatte ihrem Freund beim Errichten ihres Nachtlagers geholfen und sich dann auf einen großen, flachen Stein am Ufer des Sees gesetzt, um ihre müden Füße
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