Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
zu ihrer Flucht vom Falkenhof und der abenteuerlichen Reise der letzten Monate geführt hatten, während sich Tobias, Jana und Gaspard mit großem Appetit über das schmackhafte Essen hermachten. Dabei ließ Sadik das Wattendorfsche Vermächtnis mit dem Spazierstock, Koran und Gebetsteppich unerwähnt, deutete jedoch an, dass Zeppenfeld ihnen wichtige Informationen abjagen wollte, die für einen Forscher und Entdeckungsreisenden einen großen Wert darstellten. Das Verschollene Tal kam ihm genauso wenig über die Lippen. Er beschränkte sich darauf, Tambour klarzumachen, dass sie sich vor einem gefährlichen Widersacher auf der Flucht befanden, der wegen gewisser Vorfälle bei Sihdi Hellers letzter Nilquellen-Expedition zudem noch Rache geschworen hatte.
»Heilige Entenbrust, warum spickst du diesen Hundesohn nicht mit deinen Messern und schaffst ihn dir damit ein für alle Mal vom Hals, anstatt vor ihm davonzulaufen wie ein tollpatschiger Decksjunge vor der Peitsche des Bootsmannes?«, polterte Tambour verwundert los, griff zur Kanne mit dem Branntwein und war so abgelenkt, dass er nicht nur seinen Becher auffüllte, sondern gleich auch den von Gaspard, dessen Augenbrauen sich dabei kaum merklich hoben. Doch er war so klug, sich nicht zu rühren und auch nichts zu sagen, noch nicht einmal »Danke«.
Sadik schob sich ein Stück Kaninchenfleisch in den Mund und ließ sich mit der Antwort Zeit. Dann sagte er auf seine bedächtige Art: »Der Fuchs ist bei seiner Höhle ein Löwe, und Zeppenfeld ist ein gerissener Fuchs, der sich einem direkten Kampf niemals stellen wird.«
Tambour zuckte mit den massigen Schultern. »Dann mache es doch so wie er. Lauere ihm auf, und dann …« Er hielt sich die flache Hand vor die Kehle und vollführte eine unmissverständliche Bewegung.
»Wenn du in ein Dorf mit lauter Einäugigen kommst, blendest du dir dann ein Auge, damit du so bist wie sie?«, fragte Sadik an Stelle einer Antwort.
Tambour legte die Stirn in Falten. »Was haben Einäugige mit der Sache zu tun?«
Tobias verkniff sich ein Grinsen. »Sadik meint wohl, dass es sich nicht mit seiner Ehre vereinbaren lässt, sich auf das gewissenlose Niveau eines Zeppenfeld zu begeben und Gleiches mit Gleichem zu vergelten.«
»Aber dieser Hur …« Tambour legte seiner Zunge gerade noch rechtzeitig Zügel an, als sein Blick auf Jana fiel, und korrigierte sich schnell: »… dieser Hundesohn hat doch gar nichts anderes verdient!«
Sadik zuckte unbeeindruckt mit den Achseln. »Ein Beduine pflegt die Rache, mein lieber Tambour, und er hat Geduld. Es heißt bei uns: Der Beduine nimmt nach vierzig Jahren Rache und glaubt, er habe sich damit beeilt. Aber ein heimtückischer Mord ist keine Rache, sondern die verabscheuungswürdige Tat eines Feiglings.«
Der dicke Gastwirt seufzte resigniert. »Deine Ruhe möchte ich haben!«
»Die Welt besteht aus zwei Tagen: Ein Tag ist für dich und ein Tag ist gegen dich«, erwiderte Sadik mit typisch arabischem Fatalismus. »Im Augenblick haben wir wohl den Tag erwischt, der unsere Feinde begünstigt. Deshalb bin ich mit meinen Freunden zu dir nach Tinville gekommen. Wir brauchen deine Hilfe.«
»Sag mir, was ich für euch tun kann!«, forderte Tambour ihn sofort auf.
Der Beduine nahm einen kräftigen Schluck Buttermilch, die eine sichelförmige weiße Linie auf seiner Oberlippe hinterließ. »Wir müssen schnellstens über den Kanal und zu Rupert Burlington nach Mulberry Hall«, erklärte er dann. »Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Zeppenfeld und seine Komplizen uns nicht zuvorkommen. Wir müssen vor ihnen in England eintreffen. Dann können wir das größte Unheil noch abwenden.«
Tambour rieb sich das fleischige Doppelkinn. »Du wärest nicht hier, wenn ihr ordnungsgemäße Papiere hättet, nicht wahr?«
»La!«, bestätigte Sadik. »Wir sind Hals über Kopf vom Falkenhof geflohen. Und die Grenze nach Frankreich haben wir versteckt in Janas Wohnwagen überquert.« Er machte eine kurze Pause und setzte dann mit einem verschwörerischen Lächeln hinzu: »Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, dass manchmal Goldstücke genauso gern entgegengenommen werden wie Papiere, besonders wenn man sowieso nicht viel von diesen Formalitäten hält und an Bord seines Schiffes sein eigener Herr ist, der sich keine Vorschriften machen lässt, was und wen er von wo nach wo bringt.«
»Du denkst dabei an meinen Schwager Denis, nicht wahr?«
Sadik nickte. »Wie ich damals hörte, fuhr er nicht immer nur
Weitere Kostenlose Bücher