Falkenhof 03 - Im Banne des Falken
entschuldige, dass ich dir in meiner stinkigen Laune einen Vorwurf gemacht habe«, bat er zerknirscht und blieb dabei stehen. »Natürlich hast du nicht ahnen können, dass Tambours Schwager auf See umgekommen ist. Und du hast Recht: Wenn alles geklappt hätte, säße ich jetzt auf Mulberry Hall und würde Rupert Burlington in den höchsten Tönen vorschwärmen, wie umsichtig du unsere Passage hier im reizenden Tinville eingefädelt hast.«
Einen Augenblick sah Sadik ihn ernst und mit unbewegtem Gesicht an, dass Tobias schon bestürzt glaubte, ihn ernstlich verstimmt zu haben. Doch dann trat ein warmherziges Lächeln auf das Gesicht seines beduinischen Freundes.
»Unbeherrscht sein, Fehler machen und unrecht urteilen – das kann jeder und ist menschlich. Doch einen Fehler bei sich selbst zu erkennen und sich dafür zu entschuldigen – das kann nicht jeder, denn dafür braucht man Mut und Charakter. Wie schön, dass du mich nicht enttäuschst.«
Tobias machte eine verlegene Miene. »Und was tun wir jetzt?«, fragte er, daran interessiert, das Thema zu wechseln.
»Wenn die Tiere nichts mehr zu grasen finden, ziehen sie weiter«,
antwortete Sadik. »Und da Tinville für uns so graslos ist wie die Sanddünen bei Abu Simbel, bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Zelte abzubrechen und unser Glück schnellstens in einem anderen Hafen zu versuchen.«
»Le Havre?«, fragte Tobias nur, während sie weitergingen und ihre Schritte in Richtung Coq D’ore lenkten, wo Gaspard und Jana bestimmt schon ungeduldig auf sie warteten. Sadik hatte es für ratsamer gehalten, Jana nicht mitzunehmen. Zuerst hatte sie sich dagegen gewehrt, dann aber eingesehen, dass die zumeist sehr abergläubischen Fischer sich wohl noch abwehrender verhalten würden, wenn sie sofort wussten, dass sie auch eine junge Frau an Bord ihres Bootes nehmen sollten. Er hatte deshalb auch immer nur von drei Personen gesprochen, die es über den Kanal zu bringen galt.
»Aiwa, Le Havre«, bestätigte Sadik. Ein Blick auf den Sonnenstand verriet ihm die Tageszeit fast so genau, als hätte er eine Taschenuhr hervorgezogen. »Wir haben noch gute vier Stunden Tageslicht. Wenn wir sofort aufbrechen und die Nacht durchfahren, können wir morgen schon dort sein.«
»Dann sollten wir uns beeilen, dass wir von hier wegkommen«, meinte Tobias, der sich schon gleich viel besser fühlte, da nun endlich eine Entscheidung gefallen war. »Ich kann es gar nicht erwarten, Tinville den Rücken zu kehren!«
Wenig später betraten sie den Gasthof, der sie mit vergleichsweise kühlen Räumen begrüßte. Jana saß ganz hinten am Ecktisch, der zu ihrem Stammplatz geworden war. Tobias war erstaunt, als er sah, dass ihr ein junger Mann um die zwanzig Gesellschaft leistete. Er war von schmaler, sehniger Gestalt, besaß ein ansprechendes Gesicht und trug die derbe, aber saubere Kleidung eines Seemanns. Als er die beiden Männer eintreten sah, erhob er sich, sagte etwas zu Jana, was diese mit einem Lächeln und einem Kopfnicken beantwortete, und verließ den Schankraum mit dem wiegenden Gang eines Mannes, dessen Welt das schwankende Deck eines Schiffes ist. Er nickte ihnen kurz zu, als er an ihnen vorbeikam.
»Wer war das?«, fragte Tobias, noch bevor er Platz genommen hatte.
»Du meinst den Seemann?«, fragte Jana beiläufig zurück.
»Ja, wen denn sonst?«, brummte Tobias ein wenig ungeduldig.
Sie lächelte. »Ach, das war Moustique.«
»Moustique?«, echote Tobias. »Ein Kerl, der ›Mücke‹ heißt?«
Jana nickte. »Ja, das ist wohl sein Spitzname. Wie er richtig heißt,
konnte mir auch Tambour nicht sagen, aber das ist ja auch nicht weiter wichtig. Auf jeden Fall habe ich mich gefreut, dass er mich mal wieder besucht hat.«
Tobias runzelte die Stirn. Jana war in den vier Tagen oft allein gewesen. Hatte der Kerl vielleicht ständig bei ihr gehockt, während sie sich im Hafen herumgetrieben hatten?
»Was soll das heißen, er hat dich mal wieder besucht? Wer ist dieser Bursche überhaupt?«, wollte er wissen, plötzlich ärgerlich vor Eifersucht. »Und was wollte er von dir?«
Sadik räusperte sich vernehmlich, als wollte er ihn warnen, dass er im Begriffe stand, sich ihr gegenüber genauso ungehörig zu verhalten, wie er es gerade auch ihm gegenüber getan hatte.
Doch Jana fand seine Eifersucht nur belustigend. »Ach, der Arme dachte schon an Heirat und Kinder«, antwortete sie mit einem fast mitleidigen Tonfall.
Tobias starrte sie einen Augenblick sprachlos an,
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