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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
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Diepenbrock alleine weiter. Ganz entgegen der
Etikette, betraten sie gleichzeitig den eiskalten Saal. Carlone winkte
sie auf die linke Seite und drückte ihr ein kleines Fernrohr in die
Hand. Als Erstes zeigte er ihr die Tugenden Tapferkeit, Klugheit und
Gerechtigkeit, die mit Schild, Spiegel und Schwert ausgestattet waren
und derer sich der Fürst bediente, um der Nachwelt durch kluge
Regentschaft einen unsterblichen Ruhm zu hinterlassen. Dann schwenkte
er seinen Arm weiter zum zentralen Ereignis. Ein römisch gekleideter
Feldherr stellte die Figur des guten Herrschers dar, die im Himmel über
dem Markgrafentum Brandenburg-Ansbach thronte. Carlone hub gerade an,
ihr die Vertreibung alles Lasterhaften durch Apollon zu beschreiben,
als Friederike ihn unterbrach.
    »Carlone, das sehe ich alles auch, oder glaubt er, den
preußischen Prinzessinnen hat man keine Mythologie beigebracht? Ich
möchte, dass er mir erklärt, wie er ein Bein so verkürzt, dass die
Perspektive stimmt.«
    Carlo Carlone, der von einem Hof nördlich der Alpen zum
anderen zog, um mehr oder weniger dieselben Szenarien al fresco an Wände und Decken zu malen,
blickte erstaunt in das Gesicht dieser jungen Fürstin. Er hatte schon
so viele dieser verspielten Damen kennengelernt. Trotzdem erstaunte ihn
jetzt der Reiz ihres schmalen Gesichtes mit der langen, geraden Nase
und den wässrig blauen Augen, die größer ausgefallen waren, als ein
Maler sie zu malen gewagt hätte. Sie war noch jung. Einem geübten
Beobachter wie ihm entging nicht, wie traurig sie war.
    »Soll ich Ihrer Königlichen Hoheit meine Methode auf einem
Übungsblatt demonstrieren?«
    »Es würde mich freuen, wenn Sie die Zeit dazu hätten.«
    Friederike fiel es selbst nicht auf, dass sie dazu
übergegangen war, den Maler in seinem Wams aus Kaninchenfell nicht mehr
als Domestiken anzureden, sondern zu siezen.
    Eine Stunde später beugten die beiden noch
immer ihre Köpfe über lose Blätter, auf die Carlone mit Kohlestiften
Beine, Rücken und Arme so skizzierte, als wäre der Blickwinkel des
Betrachters jedes Mal ein anderer. Vorsichtig weihte Friederike ihn in
ihr geheimes Interesse an menschlichen Skeletten, Muskeln und
Blutbahnen ein. Verblüfft nahm sie zur Kenntnis, dass er völlig
gelassen reagierte. Als wären solche Wünsche nicht verrückt, sondern
verständlich und sogar völlig sinnvoll. Er berichtete ihr von seinen
eigenen Studien an der französischen Akademie in Rom, wo man die Rümpfe
und Glieder von Toten zerlegt hatte, damit die jungen Maler genau den
Aufbau des menschlichen Körpers studieren konnten, lange bevor sie
lebende Aktmodelle zeichneten. Sie dankte ihm mit solch begeisterten
Blicken, dass es ihm schwerfiel, in ihr nur die Königliche Hoheit zu
sehen.
    Von da an kam Friederike jeden Morgen,
nachdem sie den kleinen Erbprinzen besucht hatte, bei dem italienischen
Maler im Festsaal vorbei. Sie setzte sich in einen Sessel, hüllte sich
in eine Marderfelldecke und schaute den Italienern ein bis zwei Stunden
bei der Arbeit zu. Dann ließ sie sich eine Kanne mit dampfend heißer
Schokolade bringen und bat Carlone um Gesellschaft. Sie bediente
eigenhändig den Quirl, der oben durch den Kannendeckel gesteckt war, um
das dickflüssige, mit Muskat, Anis und Zimt gewürzte, stark gezuckerte
Getränk aufzurühren, und schenkte ihm ein, wobei sie ihn stumm aus den
Augen anlächelte.
    Schweigend tranken sie, er stehend, sie sitzend, bis langsam
die Wärme wieder in ihnen aufstieg. Carlo Carlone bemerkte, wie schön
die Markgräfin in solchen Momenten war, und bedauerte, dass seine Kunst
nicht ausreichte, den seidigen Schimmer ihrer Augen festzuhalten.
Battista Tiepolo, so sagte er ihr, müsse sie malen.
    »Der kann die wunderbare Verführung zum Ausdruck bringen, die
von Frauen wie Eurer Königlichen Hoheit ausgeht. Frauen, deren Gedanken
pfeilgerade sind und deren Phantasie das Herz eines Mannes schneller
schlagen lässt. Ich kann sie nur fühlen.«
    Wieder einmal sah ihr Carlone direkt in die Augen. Friederike
hatte einen Mann noch nie solche Worte sagen hören. Das waren keine
Schmeicheleien, keine der Phrasen und schlüpfrigen Anzüglichkeiten, die
nachts am Spieltisch mechanisch wie Kindermurmeln hin und her gerollt
wurden. Friederike wusste nicht, ob und was sie antworten sollte. Also
sah auch sie ihn an. Sein kurz geschnittenes, trotz seiner fünfzig
Jahre noch immer dunkles Haar umrahmte ein festes, energisches Gesicht,
in dessen Kinn ein tiefes Grübchen saß.

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