Falkensaga 01 - Der Schrei des Falken
zog sich aus und kroch unter die Decke. Wenige Augenblicke später war er eingeschlafen.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Alduin in den Bogenschützenhof trat. Es war der Platz, den er durch das Eisengitter gesehen hatte. Nachdem er Rihscha gefüttert hatte, musste er eine Weile auf Calborth warten, der ihm seinen Ausbildungsplan erklären wollte. Von hier aus sollte er dann zur Ratsstube gehen, um sich als neuer Schüler der Falknerschule einschreiben zu lassen, das hielt ihn auf, sodass er zu spät zum Unterricht kam. Schüchtern blieb er im Schatten der Arkaden stehen, die sich um den Platz zogen. Vor ihm führte eine Gruppe junger Raiden eine Reihe von Übungen aus. Die Jungen waren ungefähr in Alduins Alter. Der Lehrer, ein groß gewachsener Mann, der nicht älter als Anfang zwanzig sein konnte, rief ihnen knappe und sehr präzise Befehle zu. Als er zu ihm herüberblickte, erschrak Alduin: Es war der Mann, der ihn vor dem Tor erwischt hatte. Er stützte sich schwer auf einen Stock, doch er tat so, als habe er Alduin nie zuvor gesehen.
»Adlin? Wieso schleichst du dahinten herum? Nimm deinen Platz ein und mach es den anderen nach!«
»Alduin. Ich heiße Alduin.«
»Schon gut, ich habe verstanden! Und jetzt beeile dich! Du bist ohnehin zu spät dran!«
Alduins Magen verkrampfte sich. Bisher schien alles so perfekt, als würde er durch einen wunderbaren Zauber geschützt. Jetzt plötzlich wurde er mit der Wirklichkeit konfrontiert: Er musste feststellen, dass ihn der Lehrer für Bogenschießen nicht ausstehen konnte. Schnell reihte er sich in die Gruppe ein und machte den Jungen alles nach. Ihre Bewegungen waren langsam und fließend, fast wie ein höfischer Tanz, und er konnte ihnen leicht folgen.
»Atmet in Harmonie mit euren Bewegungen!«, brüllte der Lehrer, der Lotan hieß, wie Alduin erfahren hatte. »Schritt nach rechts, langsame Drehung, kreisende Armbewegungen nach oben, streckt euch in die Höhe, bis ihr auf den Zehen steht, breitet die Arme aus und haltet euer Gleichgewicht! Konzentriert euch auf einen Punkt vor euch, bewegt den linken Arm nach vorn - Pankar, wenn ich links sage, meine ich links! - und stellt euch vor, dass ihr die Sehne zurückzieht. Ihr bewegt den rechten Arm nach hinten! Haltet still! Eins, zwei, drei, vier, kommt wieder sanft auf die Füße! Schritt nach links! Jetzt das Ganze noch mal von vorne!«
Alduins erste Versuche sahen noch ziemlich unbeholfen aus, doch bald fand er einen Rhythmus, in dem die Bewegungen fast automatisch abliefen und der Verstand sich entspannen konnte. Das war völlig neu für ihn. Nie zuvor hatte ihm etwas so viel Selbstbeherrschung abverlangt, aber es missfiel ihm nicht, sondern wirkte eher beruhigend auf ihn. Doch schon die nächsten Übungen waren wieder eine ganz andere Sache, denn sie verlangten eine schnelle und genaue Koordination von Arm und Auge. Alduin hatte nicht die Ausdauer, diese Übungen lang durchzuhalten. Deshalb war er erleichtert, als er entdeckte, dass ihn der Lehrer einfach übersah, statt ihn ständig für seine Fehler zu rügen. Auch die anderen Jungen sahen seine Fehler nicht, denn er stand ganz hinten. Aber er prägte sich jede Einzelheit genau ein und beschloss seine Geschicklichkeit zu üben.
Die Zeit verging wie im Flug. Schon wurden sie von Lotan zum Mittagessen geschickt.
»Alduin, komm mal her!«, rief der Lehrer.
Alduin holte tief Luft und versuchte jede Spur von Abneigung aus seinem Gesicht zu verbannen. Wenn Lotan so tat, als habe er ihn nie zuvor gesehen, dann war es wohl besser, wenn er das Spiel mitspielte.
»Ich kenne die seltsame Geschichte, die über deinen Bund mit dem Marvenfalken erzählt wird. Bilde dir bloß nicht ein, dass du was Besonderes bist, nur weil die Sache so ungewöhnlich ist. Falkner zu werden erfordert viel mehr, als nur den Namen eines Vogels zu hören. Durchaus möglich, dass du nie lernst dich im Flug mit ihm zu verbinden. Da dein Falke ein Wildfang ist, halte ich es ohnehin für höchst unwahrscheinlich, dass dir das gelingen wird. Ich glaube eher, dass er einfach davonfliegen und nie mehr zurückkommen wird!«
»Nein, unmöglich!«, rief Alduin erschrocken.
Lotan schien sich an Alduins Entsetzen zu weiden, denn ein triumphierendes Grinsen spielte auf seinem Gesicht. »Wie gesagt, zu einem Falkner gehört viel mehr als nur ein Name. Wir werden schon sehen, ob du das Zeug dazu hast. Bis dahin wirst du jedenfalls immer rechtzeitig zur ersten Glocke zum
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