Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
als Ruderer auf einer Galeere als schnellster Weg nach Torlenien erwiesen. Die wiederkehrende Macht der Gezeiten hatte bereits genügt, damit das Schiff die ganze Fahrt über guten Wind hatte, und wenn die Brise nachließ, bewirkte seine wachsende Selbstheilungskraft, dass er weder den Schmerz seiner blasenbedeckten Hände noch den seiner brennenden Muskeln spürte. Er ermüdete auch nicht mehr so leicht wie sterbliche Männer, daher entging er weitgehend der Aufmerksamkeit des Rudermeisters. Die Reise hatte Cayal kaum mehr als zehn Tage gekostet - geradezu eine Rekordzeit, wie der Kapitän verkündete -, und schon war er hier in Ramahn, der Hauptstadt von Torlenien, betrank sich, staunte über seine eigene Blödheit und fühlte, wie der Wahnsinn in ihm wuchs. Er wünschte, die steigende Flut würde sich nicht so verführerisch anfühlen, und beklagte laut die Korruptheit seiner Art.
»Es ist wirklich wahr, weißt du ... sogar die ewigen Wohltäter, die schwören, sie würden nie der Versuchung der absoluten Macht erliegen. Sogar die wollen es irgendwann wissen. Das Verlangen ... die Neugier ... am Ende gewinnt es die Oberhand ... immer, immer.« Er lallte schon ziemlich und wusste, dass er sich wie ein Idiot anhörte, aber es war ihm egal. Es bedurfte gewaltiger Mengen von Alkohol, um einen Unsterblichen betrunken zu machen, und er war ordentlich stolz auf sich, diese Großtat vollbracht zu haben. Tatsächlich hatte die Betrachtung dieser imponierenden Leistung eine Reminiszenz aller übrigen Heldentaten ausgelöst, die er in seinem unvorstellbar langen Leben schon vollbracht hatte, und das gipfelte nun in seinen spontanen Anmerkungen zur Weltherrschaft.
»Da habt Ihr sicher recht«, stimmte der Wirt zu. Seine Worte waren forsch betont, um seine völlige Gleichgültigkeit zu bemänteln.
»Das Komische ist, je mehr sie von sich glauben, sie wollen es gar nicht, umso schlimmer sind sie, wenn sie es dann haben.«
»Mhmm ...«, gab der Wirt zurück, stellte das nun blitzende Glas in ein Bord oberhalb des Tresens und nahm das nächste, um es zu polieren. »Man hört, dass es so kommen kann.«
Cayal leerte sein Glas und schob es dem Wirt hin. »Kentravyon war ein richtiges Aas, als er drankam.«
Der Wirt ergriff das Glas und füllte es aus dem Fass, das am Ende des Tresens thronte. »Das war er, da hab ich keine Zweifel.«
»Obwohl... ich war wahrscheinlich nicht viel besser, um die Wahrheit zu sagen.«
Er reichte Cayal das Glas. »Sicher.«
Cayal nahm den Trunk entgegen und grinste schief. »Du hast keine Ahnung, wer ich bin, nicht wahr?«
Der Wirt zuckte mit seinen breiten Schultern. »Ich bin nicht sicher, wer Ihr in Eurem Land seid, mein Herr, aber hier in Torlenien seid Ihr einfach ein zahlender Gast. Das heißt, wenn Ihr eure Zeche begleicht.« Er sah Cayal mit gerunzelter Stirn an. »Ihr werdet doch bald Eure Zeche begleichen, oder, mein Herr?«
»Hast du Angst, ich bin zu pleite dafür?«
»Ihr habt eine mächtige Rechnung gemacht, mein Herr.«
»In Kürze wirst du damit prahlen, dass ich mich in deiner schmuddligen kleinen Kaschemme besoffen habe«, prophezeite Cayal. »Höchstens ein Jahr oder zwei, und du wirst durch mich reich werden.«
»Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich lieber jetzt an Euch reich werden, mein Herr.«
»Glaubst du an die Unsterblichen?«
Der Blick des Wirts wurde argwöhnisch. »Ich weiß nicht, welchen Einfluss das auf die Frage hat, ob Ihr Eure Rechnung begleichen könnt oder nicht, mein Freund. Und Eure Ausflüchte steigern irgendwie nicht meine Zuversicht, dass Ihr fähig und willens seid, mit dem Geld rüberzukommen.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
Der Mann zuckte die Achseln. »Ich weiß, es gibt Leute, die beten immer noch zu den Gezeitenfürsten. Ich persönlich sehe darin keinen Sinn. Ich meine, was haben die je getan, außer dem Rest von uns auf den Kopf zu scheißen.«
»Dein Laden heißt Cayals Rasthaus«, merkte Cayal an. Deshalb hatte er nämlich diese Pinte gewählt, um sich volllaufen zu lassen, und keins der anderen ehrenwerten Etablissements von Ramahn.
»Nur weil die lästigen Arschlöcher vom Palast mir nicht erlauben wollten, ihn Bastard Cayal zu nennen«, murrte der Wirt.
Diese Erklärung erheiterte Cayal über alle Maßen. Interessant, dass sein Name hier noch nicht vergessen war, und auch, dass er nach wie vor allgemein Abscheu auslöste. »Vielleicht wärst du besser dran, wenn du dein Etablissement nach einem würdigeren
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