Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
quälten. Intellektuell hatte er das natürlich schon immer verstanden, aber jetzt fühlte er es bis in die Eingeweide. Das Weltenende, das sie womöglich auslösen konnten, stand dabei gar nicht im Vordergrund – große Katastrophen beeinträchtigten Unsterbliche beinahe ebenso sehr wie ihre menschlichen Opfer, und außerdem neigten grundsätzlich nur wenige von ihnen zu solchen Exzessen der Macht. Es ging vielmehr um die Lebensfähigkeit aller Nationen Amyranthas, die auf der Sklavenkraft der Crasii basierte, die auf den Wink eines Gezeitenfürsten hin gegen den Rest der Bevölkerung standen.
»Der Mann, der gerade weggeritten ist, wer war das?«
»Dashin Deray, mein Fürst«, antwortete die Felide ohne Zögern.
»Wohin will er?«
»Zum Sitz des Grafen Nisenly, mein Fürst, dem Handelssekretär der tenatischen Gesandtschaft. Sie treffen sich jede Woche zum Kartenspielen.«
»Wo lebt Graf Nisenly?«
Die Felide nannte den Ort und gab ihm eine Wegbeschreibung mit demselben Eifer, mit dem sie alle seine Fragen beantwortet hatte. Als er genug gehört hatte, nahm er die anderen drei Wächter in den Blick. »Ihr werdet niemandem erzählen, dass ihr mich gesehen oder mit mir gesprochen habt, verstanden?«
Sie alle nickten leidenschaftlich. Declan staunte über ihre augenfällige Begierde, ihm zu gefallen. Er wandte sich zum Gehen, aber die älteste Felide, die bisher das Wort gehabt hatte, hielt ihn zurück. »Mein Fürst?«
»Was?«
»Wenn ich es wagen darf, mein Fürst, wem haben wir die Ehre zu dienen?«
Einen Atemzug sah er sie verständnislos an, ohne zu verstehen, was sie meinte. »Was?«
»Seid ihr der Kaiser der fünf Reiche, mein Fürst? Der unsterbliche Prinz? Der Teufel? Der Fürst der Vergeltung?«
»Ich bin … der Fürst von nichts«, sagte er und erkannte dann, wie leicht es dazu kommen könnte, dass er einen derart lächerlichen Titel bis in alle Ewigkeit würde tragen müssen. Rasch fügte er hinzu: »Wer ich bin, geht dich nichts an. Wie kannst du es wagen, eine solche Frage auch nur zu denken?«
Die Felide warf sich augenblicklich vor ihm in den Staub und bettelte um Vergebung für ihre Dreistigkeit.
Declan antwortete ihr nicht, da er vermutete, dass ein Gezeitenfürst sich so verhalten würde. Er drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon, in der Hoffnung, seine arrogante Haltung und der merkwürdige magische Zwang, unter dem diese Kreaturen standen, würden ausreichen, damit sie schwiegen.
»Ich … kann nicht … atmen!«
Declan lockerte den Griff um den Hals seines Opfers, ließ aber sein Knie fest im Kreuz des Mannes. Dashin Deray zappelte schwächlich in Declans überlegenem Griff. Er war in keinem Sinne des Wortes ein Kämpfer. Er war ein Bürokrat mit einer langen Geschichte gefahrlosen Wohllebens. Er war absolut nicht dafür gerüstet, den mutmaßlichen Räuber abzuwehren, für den er Declan hielt.
»Mein Geld … in meinem Beutel … nimm es …«, keuchte er auf Torlenisch.
»Danke«, sagte Declan auf Glaebisch und griff nach vorn, um ihn von der Last zu befreien. Es war ihm bis dahin nicht in den Sinn gekommen, aber die paar Extraspesen würden ihm gerade gelegen kommen. Er spähte die Gasse hoch und runter, in die er den Mann geschleppt hatte, nachdem er ihn von seinem Pferd gezerrt hatte. Zu seiner Erleichterung waren sie nach wie vor allein. Es war spät, nach Mitternacht, und in diesem Teil der Stadt lagen alle anständigen Bürger längst im Bett. »Ich hoffe, es macht Euch nichts aus.«
Als ihm klar wurde, dass sein Angreifer ihn in seiner eigenen Sprache angesprochen hatte, versuchte Deray sich umzudrehen, um ihn anzusehen. Declan würdigte diese Bemühung mit erhöhtem Druck auf die Nieren des Mannes.
»Ihr seid … Glaebaner …«
»Wie aufmerksam von Euch, das zu bemerken.«
»Werdet Ihr mich … töten?«
»Vielleicht.« Declan hoffte, er klang skrupellos genug. Er verstärkte seinen Griff im Nacken des Mannes. »Ich schätze, dass hängt davon ab, ob ihr mir erzählt, was ich wissen will, oder nicht.«
»Ich werde … mein Land nicht verraten!«
»Das ist gut zu wissen. Ich hasse die Vorstellung, unsere Gesandten könnten wie ein Haufen weinender Mädchen beim ersten Anblick abfallender Gliedmaßen gleich Staatsgeheimnisse preisgeben. Wo ist die Fürstin von Lebec?«
»Was?«
»Ihr habt verstanden!«
»Ich weiß nicht, wo sie ist!«
»Verflucht, ich hatte so gehofft, ihr wärt kooperativ. Ich bekomme doch niemals das Blut aus diesem Hemd, wenn
Weitere Kostenlose Bücher