Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
der Vordertür erwachte. Falls Cydne den Krach hörte, ignorierte er ihn und erwartete offensichtlich, dass seine Sklavin aufstand und sich um das hartnäckige Gehämmer kümmerte. Er blieb reglos im Bett liegen und stellte sich schlafend, jedenfalls hatte Arkady diesen Verdacht.
Es musste Verstellung sein. Bei dem Lärm wäre ein Toter aufgewacht.
Mit einem Seufzer warf Arkady ihre Decke beiseite. Zu ihrer Erleichterung war ihr ein Schlafplatz auf dem Fußboden zugeteilt worden, wohin sie sich zurückziehen konnte, wenn er mit ihr fertig war. Auf dem Weg zur Tür legte sie gähnend ihren Schurz an. Als sie nach vorne kam, hatte Jojo schon geöffnet. Zu ihrer Verwunderung stand der halbwüchsige Chamälide vor der Tür, dessen schwerkranken Bruder sie gestern Abend behandelt hatten.
»Der Doktor muss schnell kommen«, stieß der Junge hervor. »Pedy geht es ganz schlecht.«
Jojo stellte sich so in die Tür, dass das Kind sich nicht an ihr vorbei ins Haus drängen konnte. »Dann soll deine Mutter ihn wieder herbringen, wenn Sprechstunde ist.«
»Nein!«, protestierte der Junge hartnäckig. »Er muss sofort kommen! Pedy ist blind und ganz weggetreten. Mama sagt, er muss kommen!«
Cydnes Ermahnung von gestern, den Patienten keine falschen Hoffnungen zu machen, schoss Arkady durch den Kopf und drückte auf ihr Gewissen. Sie warf einen Blick in Jojos weißes Gesicht, dessen undurchdringliche Miene zu mahnen schien: Hab ich’s dir nicht gesagt? Arkady nickte dem Kind zu. »Der Doktor kann im Augenblick nicht«, sagte sie und fragte sich, ob Erblinden ein gängiges Symptom des Sumpffiebers war und warum sie noch nie davon gehört hatte. »Aber ich will sehen, ob ich helfen kann.«
»Kady …«
»Schon gut, Jojo. Sag Cydne, ich bin so bald wie möglich zurück.«
Die Felide machte ein gequältes Gesicht, aber sie unternahm nichts, um Arkady von dem Hausbesuch abzuhalten. Arkady schlüpfte in ihre Sandalen und folgte dem kleinen Chamäliden durch das schlafende Dorf bis zu einem kleinen Haus, ein paar Straßen entfernt, mit einem erstaunlich gepflegten Gärtchen rundherum. Drinnen wartete nicht nur die Frau, die Arkady und Cydne gestern gesehen hatten, sondern noch mehrere andere Crasii-Frauen. Der kleine Kranke lag im vorderen Raum auf einem aus Schilf gewebtem Bett. Die Chamäliden traten beiseite, sodass Arkady sich neben die Lagerstatt hocken konnte.
Wie sein Bruder gesagt hatte, war Pedy nahezu komatös. Er wimmerte leise vor Schmerzen, und seine blinden Augen suchten vergeblich nach der Mutter. Seine Haut war von einem leblosen Grau, der Atem ging mühsam, und selbst als sie ihren Kopf auf seine Brust legte, vernahm sie nur einen schwachen, fadenförmigen Puls. Es gab jedoch keine Anzeichen dafür, dass er sich erbrochen hatte, noch deutete irgendetwas auf den lähmenden Durchfall, der gewöhnlich mit dem Sumpffieber einherging.
»Wie lang geht es ihm schon so?«
»Ein paar Stunden«, sagte seine Mutter. »Als wir nach Hause kamen, verhielt er sich, als wäre ihm schlecht, aber dann schien es ihm besser zu gehen. Aber gegen Mitternacht bekam er Schwierigkeiten, Luft zu holen. Ich dachte erst, es liegt nur am Fieber, aber dann … als ich merkte, dass er mich nicht mehr sehen konnte …«
Arkady starrte das Kind ratlos an. Was auch immer mit ihm los war, sein Zustand verschlimmerte sich jedenfalls zusehends. Schon in der kurzen Zeitspanne seit ihrem Eintreffen war seine Atmung deutlich schwächer geworden.
»Könnt Ihr irgendwas tun?«, fragte die Frau.
»Ich weiß es nicht …«
»Und wenn Ihr ihm mehr Tonikum gebt?«, fragte eine der Chamäliden hinter ihr im Raum. »Vielleicht hat die erste Dosis nicht genügt.«
Arkady starrte die Reptilien-Crasii an, dann sah sie auf Pedy hinunter. Ihr kam ein entsetzlicher Gedanke. Es war fast zu grauenhaft, um darüber nachzudenken.
Nur einmal in ihrem Leben hatte sie jemanden in diesem Zustand gesehen, mit diesen kombinierten Symptomen: Blindheit, fadenförmiger Puls und Atemnot. Er war gestorben. Sie war damals zwölf Jahre alt und begleitete ihren Vater auf einer seiner vielen Reisen, in diesem Fall zu den Bergwerken bei Lutalo. Sie assistierte ihm, ähnlich wie sie jetzt Cydne zur Hand ging. Damals allerdings handelte es sich keineswegs um Sumpffieber. Der Minenarbeiter starb, weil er schlechten Selbstgebrannten Fusel getrunken hatte. Holzgeist, so hatte es ihr Vater genannt.
Pedy keuchte qualvoll, seine Atmung wurde von Minute zu Minute flacher. Arkady
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