Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
sie sich eigentlich die Mühe machte. Rüstungen waren dazu gedacht, lebenswichtige Organe vor Verletzungen zu schützen. Dabei gab es auf ganz Amyrantha keine Waffe, die ihr etwas anhaben konnte.
Oder auch ihm, sollte es dazu kommen. Ihre Aufmachung verriet ihm nämlich noch etwas: In einem Land, wo alle Frauen in Gegenwart von Männern, die nicht zur Familie gehörten, strikt verschleiert gehen mussten, erschien sie stolz wie ein Krieger gekleidet zu dieser Audienz. Das hieß, sie war sich ganz sicher, dass keine Seele im Palast sie deswegen öffentlich bloßstellen konnte.
Das bedeutete auch, dass es hier niemanden gab, der für Declan auch nur einen Finger rühren würde, falls sich die Situation unschön entwickelte.
Schön, das rechtzeitig zu wissen.
Declan trat vor. Alle Reden, die er im Geiste geübt hatte, lösten sich auf, als Brynden mit Kinta an seiner Seite über die Fliesen schritt und wenige Fuß vor ihm stehen blieb. Er hatte sich darauf vorbereitet, den Mann zu hassen, der Arkady in die Sklaverei verkauft hatte, aber er konnte es sich auch wieder nicht leisten, dass seine Vorurteile ihm im Weg standen. Er brauchte Brynden. Und jenseits dieser Kalamitäten wartete schließlich eine Ewigkeit auf ihn. Er konnte die Rechnung für Arkady immer noch begleichen, wenn Amyrantha gerettet war.
»Sehr findig«, sagte Brynden auf Glaebisch, während er Declan von oben bis unten musterte. »Einen Ark zu entsenden, um Eure Botschaft zu überbringen.«
»Ich mag noch nicht zehntausend Jahre gelebt haben, Fürst Brynden«, antwortete Declan und begegnete dem Blick so ebenbürtig, wie er es vermochte. Es hatte keinen Sinn, so zu tun, als wäre er nicht nervös. Brynden konnte das in den Gezeiten fühlen, so wie Declan Bryndens Zuversicht spürte. Und seine Neugier. »Aber ich bin auch nicht erst gestern geboren. Wo ist War lock?«
»In Sicherheit, für den Augenblick.«
»Ich möchte ihn sehen.«
Brynden betrachtete ihn neugierig. »Was kümmert Euch das Schicksal eines törichten Gemang, Declan Hawkes?«
»Ich gab ihm mein Wort, dass ich für seine Sicherheit sorge.«
Der Gezeitenfürst lächelte. »Und dann schicktet Ihr ihn zu mir, mit der Botschaft, dass Ihr eine Unterredung verlangt? Ihr habt eine kuriose Auffassung von dem Begriff Sicherheit.«
»Ich habe Grund zu der Annahme, dass Ihr ein Mann von Ehre seid.«
Das gab Brynden zu denken. Er schwieg kurz, dann wandte er sich an Kinta.
»Ich sagte dir ja, Bryn –«, setzte sie an, aber er winkte ab.
»Lass den Ark herbringen.«
Kinta warf einen unsicheren Blick auf Declan. »Bist du sicher?«
»Ich bin sicher.«
Die Kriegerin verbeugte sich vor ihrem Fürst und wandte sich zur Tür. Declan konnte seine Erleichterung nicht verhehlen. Brynden ging an ihm vorbei zu einem Torbogen und trat auf den regennassen Balkon hinaus, um auf die Stadt hinunterzublicken.
»Es hat hier seit vielen Jahren nicht geregnet.«
Declan folgte ihm hinaus in den Regen. Draußen war es warm und nicht wirklich ungemütlich. Wenn auch nicht ganz der Hintergrund, den er bei so einer Unterredung erwartet hätte.
»Ist der Regen eine Folge von dem, was in Glaeba geschieht?«, fragte Declan und dachte daran, wie oft man ihn schon gewarnt hatte, dass der Einsatz von Gezeitenmagie an einem Ort häufig zu Konsequenzen an einem anderen führte.
Brynden zuckte die Achseln. »Sagt Ihr es mir. Ihr wart kürzlich dort, ich nicht.«
»Sie hatten da noch nie einen so harten Winter wie diesen.«
Der Gezeitenfürst lehnte sich an die marmorne Balustrade und spähte über die Dächer in die Ferne. »Kein Sommer so heiß, kein Frühling so trocken … das geschieht oft, wenn die Gezeiten wechseln. Es wird Unwetter geben, gewaltige Stürme, Dürreperioden, Feuersbrünste, Überflutungen – und das alles, ohne dass einer von uns einen Finger rührt. Früher glaubte ich, das sei der Sinn unseres Daseins, wisst Ihr? Dass wir in diese Welt geworfen wurden, um die Wirkung der Gezeiten zu mildern, die Folgen für die weniger Begünstigten zu lindern.«
Es überraschte Declan, von Brynden so ein Bekenntnis zu hören. Aber im Grunde war es nicht so verwunderlich. Wenn ein Unsterblicher wirklich über die Bedeutung ihrer Existenz nachgedacht hatte, dann war es dieser Mann. »Und glaubt ihr das noch immer?«
»Ich weiß es nicht.« Er richtete sich auf und sah Declan in die Augen. Seine Miene wirkte eher grüblerisch als bedrohlich, als sei das Ringen mit den philosophischen Fragen, die
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