Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
breit. »Stell dir das“ mal vor – Cayal könnte dein Bruder sein.«
Ihm stand nicht der Sinn danach, sich auf eine so beklemmende Vorstellung einzulassen. Er wollte Antworten auf andere Fragen. Für diese Antworten war er nach Jelidien gekommen. »Also ihr stöbert euren Kristall auf, wartet ab, bis die Gezeiten den Höchststand erreichen, und verdrückt euch dann in eine andere Welt, während Cayal dabei draufgeht. Warum? Was stört euch an dieser Welt?«
»Sie wird ein bisschen eng«, sagte Lukys.
»Was ist der wahre Grund?«
Lukys lächelte, aber es war Maralyce, die antwortete. »Es gibt eindeutig mehr Unsterbliche auf dieser Welt, als einem angenehmen Zusammenleben förderlich ist«, sagte sie. »Und dieser Haufen hier ist irgendwie … schwierig.«
»Du meinst, Katastrophen gehören bei euch eigentlich nicht zum Alltagsgeschäft?«
Lukys sah Maralyce an. »Ich glaube, den Sarkasmus hat er von deinem Zweig der Familie.«
»Den Grips auch«, schoss Maralyce ohne die Spur eines Lächelns zurück. »Die Sturheit hat er allerdings von dir.«
Declan ignorierte ihr Geplänkel, entschlossen, sich nicht ablenken zu lassen. Die Zeit lief, die Gezeiten stiegen unerbittlich, und er hatte immer noch keine klare Vorstellung – hatte bis eben, ehe er diese unterirdische feurige Halle betrat, überhaupt keinen Anhaltspunkt gehabt –, wie Lukys einen Unsterblichen umzubringen gedachte. Seine vagen Beteuerungen, dass er es könne, zählten nicht. Und mit Ausweichmanövern und Schutzbehauptungen kannte Declan sich aus. Er war nicht umsonst Erster Spion gewesen. »Diese Ausrede von wegen ›zu viele Unsterbliche auf einem Haufen‹ kaufe ich euch nicht ab.«
Lukys sah ihn kurz an, als ob er nach Argumenten suchte, und zuckte dann die Achseln. »Es ist an der Zeit, Declan, ganz einfach. Eine solche Flut, stark genug, um den Kristall zu aktivieren, kriegen wir bestenfalls alle hunderttausend Jahre. Diese Flut ist auf dem Vormarsch, und wenn wir jetzt nicht verschwinden, bedeutet das etliche weitere Jahrtausende auf Amyrantha. Und das mit Syrolee und ihresgleichen, die bei jeder kosmischen Flut die Zivilisation in Schutt und Asche legen.«
»Und was wird aus der Bevölkerung von Amyrantha?«
»Die sind doch dann wenigstens die Hälfte von uns los. War das nicht das Ziel, worauf die Bruderschaft all die Jahre hingearbeitet hat? Ist das nicht auch der Grund, warum du hier bist und tust, als wärst du einer von uns, obwohl wir alle wissen, dass du mit Freuden jeden Unsterblichen vernichten würdest, dem du je begegnet bist?«
Declan runzelte die Stirn. Es war nicht gerade schmeichelhaft, dass Lukys ihn so leicht durchschaute. »Angenommen, ich will nicht mit in eure schöne neue Welt – was dann?«
»Dann bleibst du eben hier«, sagte Lukys ungerührt. Der Schein des Feuers verlieh seinem Gesicht dämonische Züge, was Declan ziemlich passend fand. »Bleib hier und lebe glücklich bis ans Ende aller Tage, ist mir schnurz. Aber überleg es dir gut, mein Sohn. Wir nehmen den Kristall mit. Das wird die einzige Chance, die du je kriegst, hier wegzukommen. Und was aus Amyrantha wird, tja … nun, wenn wir erst mal weg sind, kann uns das ja herzlich egal sein.«
»Woher nimmst du die Gewissheit, dass das Öffnen dieses Portals Cayal wirklich umbringt?«
»Das ist sicher«, schaltete sich Maralyce ein, »weil er den Kristall festhalten wird, wenn wir die Gezeitenkraft bündeln.«
5
»Weißt du was, Chikita, das könnte klappen.« »Ja, Fürst Jaxyn. Eure Strategie ist wahrlich brillant.« Jaxyn Aranville blickte sich zu der zierlichen rötlichen Crasii um, die Wache stand. Es schien ihm, dass sie sich mehr in der Nähe des prasselnden Feuers aufhielt als in der Nähe des Fürsten, für dessen Sicherheit sie verantwortlich war. Doch er missgönnte ihr nicht die Wärme. Der Thronsaal war ein mächtiger Raum, der kaum nachhaltig zu heizen war. Und er wollte schließlich nicht, dass ihr Reaktionsvermögen durch die Kälte beeinträchtigt wurde.
Er war eigentlich nicht besonders an ihrer Meinung interessiert. Als Crasii blieb ihr ohnehin nichts anderes übrig, als ihm beizupflichten. Dennoch hörte Jaxyn es gern, wenn sie ihm schmeichelte.
»Sag mir, wie raffiniert ich bin, Kätzchen.«
»Ihr seid der brillanteste Militärstratege, der jemals gelebt hat, mein Fürst«, versicherte ihm die Crasii pflichtgemäß, wobei sie nicht sonderlich überzeugend klang. Vielleicht lag es daran, dass sie nur mechanisch einen Befehl
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