Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
an und empfand nichts als tiefe Dankbarkeit und Zuneigung für den Chamäliden, der sie auf den Straßen von Elvere gekidnappt und zu ihrem eigenen Volk zurückgebracht hatte. Manchmal hatte sie das Gefühl, vor lauter Liebe zu ihm schier zu platzen.
Und manchmal sah sie in ihm einfach nur einen blinden Narren, weil er es allen Ernstes für gut und sinnvoll hielt, einer Unsterblichen zu dienen. So wie jetzt. Ganz der tüchtige kleine Lakai, der zu sein er immer so heftig bestritt, war ihr Gefährte auf dem Weg zurück in Lady Arryls Gemach mit einer Garnitur frischer Wäsche für das pelzbelegte Lager seiner Gebieterin.
»Tiji? Was machst du hier?«
»Lauschen«, sagte sie und schob sich langsam etwas näher an den Eingang von Lukys’ Privatgemach heran. Im Eispalast gab es keine Türen, und da die Dienerschaft zum Großteil aus sklavisch loyalen Crasii bestand, mussten die Unsterblichen sich wenig Sorgen machen, belauscht zu werden.
»Du kannst doch die Unsterblichen nicht belauschen«, zischte Azquil und versuchte sie wegzuziehen.
»Und ob.« Sie schüttelte seine Hand ab und beugte sich etwas näher an die Türöffnung. In der Luft lag der Gestank der Suzerain , so schwer, dass ihr fast das Würgen kam.
»… Kentravyon mitten in einen beginnenden Krieg schicken wollt, ist die Katastrophe doch vorprogrammiert«, hörte sie Arryl zu jemandem sagen. Obwohl sie die Suzerain riechen konnte, war Tiji sich nicht sicher, wer sich noch alles mit ihr im Raum befand, bis sie Cayal Arryl zustimmen hörte.
»Das sage ich ihnen ja schon die ganze Zeit«, erwiderte der unsterbliche Prinz.
»Ich sehe das anders«, sagte eine weitere Frauenstimme, Tiji tippte auf Maralyce. »Um Elyssa zur Kooperation zu bewegen, wirst du ihr vermutlich helfen müssen, den Krieg gegen Jaxyn zu gewinnen.«
»Dafür brauche ich Kentravyon nicht«, sagte Cayal. »Diesen kleinen Scheißkerl schaffe ich mit links. Und wen hat er schon an Helfern? Diala? Die ist für einen Gezeitenfürsten keine Bedrohung.«
»Vergiss nicht, dass Lyna auch in Glaeba ist«, sagte Maralyce.
»Und wenn schon. Weit und breit nichts und niemand, mit dem ich nicht allein fertig werde. Und im schlimmsten Fall ist ja auch der Ratz noch da und geht mir zur Hand.«
»Ganz genau«, sagte Arryl. »Warum lasst ihr also Kentravyon mitgehen? So rasch, wie die Gezeiten steigen, dürfte schon die bloße Anwesenheit von so vielen Unsterblichen an einem Ort Schwierigkeiten geben.«
Tiji war nicht sicher, was Arryl damit meinte, aber jetzt konnte sie das Lächeln in Lukys’ Stimme hören, auch ohne ihn zu sehen. »Ich weiß zu schätzen, was du mir alles zutraust, Arryl, meine Liebe, aber warum denkst du, dass ich Kontrolle über Kentravyon habe? Er hat gehört, dass Declan nach Glaeba aufbricht. Er weiß, dass Elyssa in Caelum ist und einen Hinweis besitzt, wo der Kristall des Chaos zu finden ist. Er weiß auch, dass die einzige lebende Seele, der sie das anvertrauen würde, unser unsterblicher Prinz hier ist. Kentravyon möchte gern weiterziehen, und er traut weder dem selbstmordgefährdeten, depressiven Cayal noch dem gefährlich unerfahrenen Declan Hawkes zu, den Kristall zu bergen, bevor die Gezeiten auf dem Höchststand sind und unsere Chance für weitere hunderttausend Jahre verloren ist.«
»Er denkt wohl, er kann das besser als alle anderen, was?«
»Arryl. Der Mann hält sich für Gott«, bemerkte Maralyce ungeduldig. »Natürlich denkt er, dass er es besser kann als alle anderen.«
Tiji musste grinsen. Endlich mal eine absolut nachvollziehbare Schlussfolgerung, so abartig diese Logik auch sein mochte.
»Komm schon, Tiji«, drängte Azquil flüsternd und zupfte sie am Ärmel. »Komm weg hier, bevor noch jemand rauskommt und dich beim Spionieren erwischt.«
Sie schüttelte ihn ab, begierig, den Rest der Unterhaltung zu hören. Ein Teil von ihr wollte, dass Arryl die anderen Suzerain überzeugte, hier in Jelidien zu bleiben. Ein anderer Teil von ihr wünschte sehnlichst, dass Arryl sich bereit erklärte, sie zu begleiten. Denn wenn Arryl den Palast verließ, würde Azquil seiner unsterblichen Gebieterin nach Glaeba folgen, und dann konnte auch Tiji endlich weg von diesem eisigen, deprimierenden Ort.
»Die Lage ist so schon instabil genug. Das bringt nichts als Ärger«, prophezeite Arryl jetzt. Obwohl Tiji sie nicht sehen konnte, war ihre Stimme unverkennbar.
»Ärger, den wir dann aber wenigstens nicht mehr vergrößern können«, antwortete Lukys in einem
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