Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
für Gott hält?
Laut Cayal rührte Kentravyons Wahnsinn daher, dass er zu tief in die Gezeiten getaucht und irgendwie darin verloren gegangen war, sodass er nie mehr ganz zurückgefunden hatte. Die genaueren Umstände seines Falls blieben irritierend unklar, wobei Declan den Eindruck hatte, dass Cayal ihm die Einzelheiten nicht vorenthielt, weil er sie verheimlichen wollte, sondern weil er sie selbst nicht wusste.
»Bist du eigentlich in allem der Beste?« Declan hielt es für unverfänglicher, sich auf Umwegen an die Frage nach der Ursache des Irrsinns heranzupirschen.
»Ja, Declan, das bin ich«, antwortete Kentravyon. »Deshalb bin ich ja Gott.«
»Und in deinem Olymp gibt es keinen Platz für andere Götter?«
»Vielleicht schon.« Kentravyon zuckte die Achseln. »Da müssten sie mich nur erst umbringen.«
»Aber du bist unsterblich.«
Das verschmitzte Lächeln des verrückten Gezeitenfürsten erhärtete Declans Verdacht, dass er nicht ganz so irre war, wie er die Leute gern glauben ließ. »Tja, damit hat sich das wohl erledigt, nicht?«
Gegen seinen Willen musste Declan schmunzeln. Dann warf er einen Blick auf Cayals lang ausgestreckte Gestalt, nicht sicher, ob der unsterbliche Prinz wirklich schlief oder sich nur mit geschlossenen Augen ausruhte und jedes Wort mitbekam. »Glaubst du, dass Lukys wirklich herausgefunden hat, wie man einen Gezeitenfürsten tötet?«
»Die anderen sind jedenfalls nie mit durchgekommen.«
Das stachelte Declans Neugier an. »Die anderen? Was für andere?«
»Na, die Unsterblichen, die wir hinter uns lassen, wann immer wir durch den Spalt reisen.« Kentravyon verdrehte ungeduldig die Augen. »Gezeiten, Junge, dachtest du etwa, nachdem Millionen von Jahren hinter uns liegen und noch mehr Millionen vor uns, dass die Gezeiten nichts Besseres zustande bringen als Unsterbliche von Engarhods Kaliber?«
Declan starrte ihn an. Die Vorstellung hatte etwas Lähmendes. Er hatte schon Mühe zu verdauen, dass er Jahrtausende leben würde. Der Gedanke, dass er eines Tages sein Leben in Spannen von Jahrmillionen messen könnte, war ihm bisher nie gekommen. Gezeiten! Kein Wunder, dass Cayal einen Wegsucht, um sterben zu können.
»Willst du damit sagen, dass du – und Lukys und Maralyce – dass ihr wirklich ]2hvmillionen alt seid?«
»Wer weiß?«, sagte der Wahnsinnige und zuckte erneut die Achseln. »Ich zähle schon lange nicht mehr mit.«
»Aber du kamst aus einer anderen Welt durch diesen Spalt, ja? Aus einer Welt wie dieser?«
»Naja, nicht genau wie diese«, erklärte Kentravyon. »Es gab da mehr Wasser, das ist schon mal ein Unterschied. Und es war wärmer. Und es gab überhaupt keine Leute, was nach einer Weile ziemlich langweilig wurde. Wir hatten ein paar ganz faszinierende Gattungen, aber die lebten nicht lange genug, um von Nutzen zu sein. Lukys vermutete, es sei irgendwas in der Luft, das sie so früh sterben ließ. Eigentlich war es ziemlich malerisch, wenn ich jetzt daran zurückdenke. Diese ganze Welt war wie ein üppiger, wuchernder Garten mit Kreaturen so groß wie Segelschiffe. Und es gab diese wirklich köstlichen Muscheln, die fand man aber nur am Meeresarm von Fianca –«
»In wie vielen Welten bist du schon gewesen, Kentravyon?«, unterbrach Declan. Er fürchtete, die Aufmerksamkeit des Verrückten würde abschweifen, wenn er sich erst ausgiebig in Erinnerungen an längst vergangene kulinarische Leckereien erging.
Der Altere zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Müssen schon einige gewesen sein. Ich war noch ein Jungspund, als ich unsterblich wurde.«
Declan musterte ihn. Er sah aus wie ein Mann Anfang vierzig.
Lukys wirkte wie Ende dreißig und Maralyce wie eine Frau, die auf die fünfzig zuging. Declan hatte immer angenommen, das wäre das Alter, in dem sie unsterblich geworden waren. Dass Unsterbliche doch älter wurden, ganz gleich wie langsam, war ihm nie in den Sinn gekommen.
Declan blickte wieder kurz auf Cayals liegende Gestalt. Er lebte schon gut achttausend Jahre und sah doch keinen Tag älter aus, als er gewesen war, als man ihn mit siebenundzwanzig unsterblich machte. Wie lange musste man als Unsterblicher gelebt haben, um sichtbar zu altern?
»Wer waren die anderen?«
»Was für andere?«
»Die anderen Unsterblichen, die ihr zurückgelassen habt, als ihr durch den Spalt kamt.«
»An ihre Namen erinnere ich mich nicht mehr.«
»Sind sie wirklich gestorben?«, fragte Cayal unvermittelt, öffnete die Augen und sah sie an. Anscheinend
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