Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
selbst hätte sich der Sinn der mit Pech gefüllten Kanäle vielleicht erschlossen, wenn er seine Truppen angeführt hätte, statt das Geschehen zusammen mit seinen unsterblichen Bundesgenossinnen sowie Arkady und ihrem Vater – vorausgesetzt, die beiden waren nicht auf der Stelle umgebracht worden, als Tryan Jaxyns Ultimatum ausschlug – von seinem dekorativen Podium hinter den Frontlinien zu verfolgen. Aber die Crasii, die den Großteil dieser Armee ausmachten, waren nicht angewiesen worden, auf solche Dinge zu achten. Ihr Befehl lautete, zu marschieren und zu kämpfen, und da ihnen ein Unsterblicher befohlen hatte, zu marschieren und zu kämpfen, hatten sie keine Wahl als blind zu gehorchen. Keine Felide würde in dieser Lage innehalten, um nachzusehen, warum da Pech auf dem Eis war.
Die Feuerwände, die aufgeflammt waren, als Elyssa die pechgefüllten Kanäle in Brand setzte, hatten die glaebischen Truppen derart in Panik versetzt, dass es Stunden dauerte, sie wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Und hier lag das eigentliche Problem. Sie standen unter unsterblicher Kontrolle. Eine Menschenarmee, ja, selbst eine Crasii-Armee, die von Menschen befehligt wurde, besaß noch ein gewisses Maß an Entscheidungsspielraum, der diesen Geschöpfen gänzlich fehlte, da die Magie sie zu bedingungslosem Gehorsam zwang. In tausend Jahren war kein Krieg wie dieser ausgetragen worden. Seit Menschengedenken hatte noch nie eine Schlacht stattgefunden, bei der keiner der Kämpfenden imstande war, in einem solchen Gemetzel auch nur einen Schritt zurückzuweichen.
Jaxyn hatte zahlenmäßig einen Vorteil, so viel war klar, und er setzte ihn ein wie einen Vorschlaghammer. Trotz all der Toten, trotz der verbrannten und verwundeten Crasii, die verzweifelt um Hilfe schrien, während ihre Kameraden über sie hinwegstiegen, um weitere Gegner aufzuschlitzen – seine magisch geknechteten Truppen marschierten weiter.
Es machte Stellan ganz krank, das Gemetzel mit anzusehen. Sein Abscheu wurde noch verstärkt durch das Wissen, dass ihre eigenen Crasii ebenso unter Zwang standen. Rance und Krydence waren unten auf dem Eis und schickten eine Reihe Feliden nach der anderen ins Kampfgetümmel – Feliden, die keine Wahl hatten als ihren unsterblichen Herren blind zu gehorchen. Die Caelaner hatten auch menschliche Soldaten in der Reserve, aber Stellan konnte sich nicht vorstellen, dass auch nur ein Sterblicher, der bei Verstand war, willig in das Blutbad marschieren würde, das sich auf dem Eis abspielte, als sich der Rauch verzogen hatte und die Schlacht weiterging.
Es war mit Abstand der schlimmste Tag in Stellans Leben, und angesichts mancher Dinge, die er in letzter Zeit erlebt hatte, wollte das einiges heißen. Die Sonne begann langsam hinter den Palasttürmen zu versinken, doch die Schlacht tobte unvermindert weiter, wie sie den größten Teil des Tages gewütet hatte – mit kaum einem Vorteil für die eine oder die andere Seite. Jaxyns Truppen rückten weiterhin unerbittlich heran. Die caelischen Streitkräfte hatten es bislang irgendwie fertiggebracht, ihnen standzuhalten. Doch sie würden sie nicht mehr lange aufhalten können. Ihre menschlichen Reservetruppen waren schon um beinahe ein Drittel geschrumpft, einfach weil alle vernünftigen Männer, die eine ausweglose Lage als solche zu erkennen vermochten, längst desertiert waren.
»Was schätzt Fürst Krydence, wie viel Zeit uns noch bleibt, ehe wir den Rest der menschlichen Reservetruppen einsetzen müssen?«, fragte Stellan den Kurier von der Front. Er hatte ihn auf dem Weg zum Palast abgefangen, um an eine Meldung zu kommen, die nicht von Syrolees blindem Glauben an das zwangsläufig erfolgreiche Feldherrntalent ihres Sohnes verfälscht war. Der arme Kerl sah schwer mitgenommen aus, aber er stand unter dem Befehl eines Unsterblichen und hätte notfalls auch die Außenmauern des Palasts erklommen, um seine Botschaft zu übermitteln.
»Weniger als eine Stunde, Euer Gnaden«, meldete der Canide, der im eisigen Wind schlotterte, während er hinter Stellan her durch die verschlungenen Gassen von Cycrane zum Kommandoposten eilte. »Fürst Krydence sagt, wenn die Glaebaner nicht bei Sonnenuntergang Gefechtspause machen, wird Cycrane bis Mitternacht eingenommen sein.«
Stellan blieb stehen. »Sag Fürst Krydence, dass wir seine Bedrängnis verstehen und so bald wie möglich Verstärkung schicken.«
Vielleicht, fügte er in Gedanken hinzu. Falls ich Tryan überreden kann, die
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