Familienbande
von der Señora aufzuschütteln und ihre Kanülen zu kontrollieren. Sie wusste, dass das eigentlich zu den Aufgaben der Krankenschwestern gehörte, aber sie war froh, etwas für die alte Dame tun zu können.
„Sie sollten sich vor diesem Mann in Acht nehmen, Samantha“, beschwor die Señora Laney, während diese noch ihren Puls überprüfte. „Er hat Sie angesehen, als hätte er vor, Sie auf dem nach Hause weg zu überfallen.“
Diese Beschreibung brachte Laney zum Lachen und sie unterbrach ihre Arbeit kurz, um die Señora anzusehen.
„Hören Sie, Señora“, sagte sie amüsiert. „Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen um mich zu machen. Ich kann Selbstverteidigung, wissen Sie?“
Die Señora nickte, als würde sie das nicht weiter überraschen.
„Sie sind ein ganz besonderer Mensch, Samantha“, sagte sie schließlich und ergriff wieder Laneys Hand. „Wenn Ihre Hautfarbe nicht bedeutet, dass Sie krank sind, dann hat es mit Sicherheit eine andere Bedeutung. Ich habe Sie beobachtet …“
Laney verzog unsicher den Mund und die Señora schien zu bemerken, dass ihre Worte die junge Frau bekümmerten.
„Oh, keine Sorge. Ich würde es nie jemandem sagen, Samantha. Ich weiß inzwischen, dass Sie nicht zu den Bösen gehören. Da bin ich ganz sicher. Sie sind etwas Besonders, Samantha. Aber ich bin mir auch sicher, dass Sie Ihre Grenzen haben. Sie sollten sich wirklich nicht zu viel zumuten.“
Laney streichelte eine Weile einfach nur die Hand der alten Frau und dachte über ihre Worte nach.
„Danke für den guten Rat, Señora“, sagte sie schließlich und versuchte sich ein Lächeln abzuringen. Es war gar nicht so einfach, wie sie es sich vorgestellt hatte. „Ich muss jetzt weiter, aber ich verspreche, dass ich morgen wieder vorbei kommen werde.“
„Danke, Samantha. Ich weiß das wirklich zu schätzen.“
Lächelnd ging Laney aus dem Raum und steuerte enthusiastisch auf einen Ort zu, wo sie ihre anderen Lieblinge treffen würde. Die Kinderstation.
In der Welt der Vampire gab es so wenige Kinder, dass es für Laney jedes Mal wieder ein kleines Wunder war, mehr als drei Kinder auf einmal zu sehen. Da Laney zurzeit die Jüngste in ihrer Familie war und man sie nur selten zu anderen Familien eingeladen hatte, hatte Laney vor ihrer Zeit in Spanien noch nie ein Baby gesehen. Es hieß, dass das Blut von Kindern ganz besonders süß schmeckte, aber Laney konnte nicht nachvollziehen, wie ein Vampir auch nur darüber nachdenken konnte, eines dieser niedlichen Wesen zu beißen. So, wie viele Menschen es nicht über sich bringen würden ein Kitz zu töten, fand Laney den Gedanken grausam, einem menschlichen Kind etwas anzutun. Eher würde sie verhungern.
Bereits von draußen konnte sie die Kinder lärmen hören. Aus der Tür drang lautes Geschrei und viel Getöse. Als Laney die undurchsichtige Tür öffnete, kam ihr ein Schuh entgegen geflogen, der sie mit Sicherheit am Kopf getroffen hätte, wenn sie nicht ausgewichen wäre. Ihre Reflexe waren erheblich besser, als die der Menschen. Doch meistens gelang es ihr das zu überspielen.
„Juan und Mariana“, rief eine robuste, grauhaarige Krankenschwester mitten im Raum und fuchtelte mit ihrem Finger vor dem Gesicht von zwei übermütigen Kindern herum. „Hört auf mit euren Sachen herumzuwerfen. Es gibt genug Kinder, die überhaupt nichts besitzen, und ihr seid noch nicht einmal dankbar für das, was ihr habt.“
Juan und Mariana, beides kleine dunkelhäutige Kinder mit großen Augen und schwarzen Haaren, grinsten breit und rannten dann wieder los, um weiter zu spielen.
„Hallo, Martha“, begrüßte Laney die Krankenschwester, die resigniert die Schultern fallen ließ. „Hast du Probleme?“
„Oh. Hallo, Samantha“, gab sie zurück und schien erleichtert zu sein eine Ausrede zu haben, um sich ein paar Minuten von den Kindern abwenden zu können. „Probleme ist noch gar kein Ausdruck für diese Satansbraten. Seitdem Mariana da ist, kann man Juan überhaupt nicht mehr bändigen. Ich werfe diese Kinder irgendwann noch mal aus dem Fenster.“
Laney lächelte und beobachtete die Kinder. Juan war Waise und befand sich schon seit mehreren Monaten im Krankenhaus. Er litt an einer seltenen Immunkrankheit, von der leider niemand wusste, wie man sie am besten behandeln sollte. Mariana hingegen kam aus einer gut betuchten Familie und war erst seit sechs Wochen da. Sie hatte sich den Arm mehrfach gebrochen, als sie unglücklich vom Pferd gefallen war, aber es
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