Familienbande
unwillkürlich daran denken, dass William sie gewarnt hatte. Laney spürte, wie sie langsam auf die Bewusstlosigkeit zu driftete. Kurz bevor es soweit war, hörte sie noch einmal Williams Stimme.
„Hört auf damit!“, schrie er. „Ihr tötet sie noch, verdammt!“
Der Druck auf Laneys Brust verschwand und sie spürte ein paar kalte Hände über ihr Gesicht streichen. Ihr gesamter Körper schmerzte und sie ließ sich dankbar in die Bewusstlosigkeit hinabgleiten.
Als Laney wieder erwachte, fühlte sie kühle Luft auf ihrer Haut. Sie lag in Williams Armen, das erkannte sie sofort an seinem angenehmen Geruch. Und sie bewegten sich ganz offensichtlich, was bedeuten musste, dass es immer noch Nacht war. Laney hatte Angst die Augen zu öffnen, weil sie sich davor fürchtete, ihn und die anderen zu sehen.
In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie konnte sich nur noch vage daran erinnern, dass sie gegen eine unsichtbare Wand gerannt war. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass jedes Mitglied der Truppe eine Gabe besitzen würde. Das war höchst ungewöhnlich und machte Laney große Sorgen. Die Kaltblüter konnten durchaus aus dem Gefolge der Ältesten sein. Wer durch das Gift von einer der Ältesten oder durch einen Verwandten verwandelt wurde, entwickelte manchmal eine Gabe. Das passierte jedoch nicht automatisch. Immerhin hatte sie selbst Kathleen gebissen und ihre Stiefmutter hatte bisher keinerlei besondere Fähigkeiten entwickelt.
Was wiederum das Rätsel um Darrek und Liliana aufwarf. Nur weil man mit den Ältesten verwandt war, musste man noch lange keine Gabe haben. Aber jeder Warmblüter, der eine Gabe besaß, war auch mit ihnen verwandt. Das hatte Annick schon ganz richtig erkannt. Das bedeutete dann wiederum, dass Darrek und Liliana auch mit Laney verwandt sein mussten. Wie weit entfernt auch immer.
Laney fragte sich, was diese ungleiche Truppe wohl zusammengebracht hatte. Sie mochte gar nicht darüber nachdenken, wie sie dazu gekommen waren, die Ältesten provozieren zu wollen. Laneys Herzschlag musste unruhig geworden sein, denn William fiel sofort auf, dass sie wach war.
„Samantha“, fragte er vorsichtig, ohne sein Tempo zu verlangsamen. Die anderen achteten gar nicht darauf und Laney bewegte sich kein bisschen.
„Ich hatte dich gewarnt“, erklärte William und Laney unterdrückte ein Knurren. „Weglaufen ist keine gute Idee, Samantha. Du magst vielleicht schnell sein, aber wir würden dich wieder finden. Sei dir dessen bewusst.“
Laney antwortete immer noch nicht, aber öffnete nun langsam die Augen und sah zu ihm auf. Wieder fiel ihr auf, was für ein wunderschönes Gesicht er hatte. Konnte es irgendwo auf der Welt einen schöneren Mann geben? Seine Züge waren so vollkommen symmetrisch und perfekt und sie mochte seinen Geruch. Sie wünschte, sie könnte einfach für immer in seinen Armen liegen bleiben. Hier würde Liliana wenigstens nicht wieder versuchen sie zu zerquetschen.
„Kein Milady mehr?“, fragte Laney ein wenig enttäuscht. Sie hatte es gemocht, von William mit Milady angesprochen zu werden, gleichzeitig war es ihr aber auch falsch vorgekommen. Die Kaltblüter, die sich dafür entschieden hatten im Haus ihrer Familie zu bleiben, hatten sich schon vor einiger Zeit einen lockeren Umgangston angewöhnt.
William zuckte mit den Schultern.
„Ich habe entschieden, dass es irgendwie unpassend ist, da wir dich gegen deinen Willen mit uns nehmen. Außerdem hat Liliana sich beschwert.“
„Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ihre Meinung dich sonderlich interessiert.“
„Möchtest du wieder mit Milady angesprochen werden? Wenn du das willst, kann ich es tun.“
Laney sah ihm einen Moment in die Augen und schüttelte dann den Kopf.
„Nein. Du hast schon recht. Es ist wirklich unpassend in dieser Situation. Außerdem sind die Diener doch jetzt frei.“
William ging nicht auf diese Aussage ein, sondern wechselte das Thema.
„Wie geht es deinem Kopf?“, fragte er und sah besorgt zu ihr hinunter.
„Nicht so besonders“, gab Laney offen zu und betastete die Beule an ihrer Stirn.
„Glaubst du, du kannst schon wieder laufen?“, fragte William und Laney hatte große Lust, das zu verneinen. Hier in seinen Armen fühlte sie sich geborgen. Die Kälte seiner Haut störte sie überhaupt nicht, da sie damit aufgewachsen war, von Kaltblütern im Arm gehalten zu werden. Die Hauttemperatur war also eher eine Beruhigung für sie. Es fühlte sich so an, als wäre sie wieder zu Hause.
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